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Schätzung fiktiver Mängelbeseitigungskosten

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BGH-Urteil vom 11. März 2022 - V ZR 35/21: Kriterien für die gerichtliche Schätzung fiktiver Mängelbeseitigungskosten

Problemstellung

Bereits seit einiger Zeit ist durch eine Grundsatzentscheidung des BGH geklärt, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, vgl. BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az. V ZR 33/19.

Für die Praxis ist hieran anknüpfend von besonderer Relevanz, wie das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Gericht die Höhe solcher fiktiven Schadenskosten zu bestimmen hat.  Ausgangspunkt hierfür bildet § 287 Abs. 1 ZPO, der wie folgt lautet:

„Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. (…)“

Ungeklärt war bisher, nach welchen Grundsätzen das Gericht den vorzitierten § 287 Abs. 1 ZPO im konkreten Fall anzuwenden hat.

In einer neueren Entscheidung vom 11. März 2022 (Az. V ZR 35/21) hat der BGH den Instanzgerichten wertvolle Kriterien an die Hand gegeben.

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Das Urteil

Seiner Entscheidung vom 11. März 2022 (Az. V ZR 35/2) lag verkürzt folgender Sachverhalt zugrunde:

Streitgegenstand bildete der Kaufvertrag über ein Grundstück. Die Verkäufer hatten gegenüber den Käufern verschwiegen, dass die Außenabdichtung des Kellers unvollständig ist, und verlangten entsprechend Schadensersatz in Form fiktiver Mängelbeseitigungskosten.

Das Erstgericht hatte die Beklagten in Höhe fiktiver Mängelbeseitigungskosten von 144.800 Euro verurteilt. Das Berufungsgericht hat diesen Betrag auf 97.556 Euro herabgesetzt und die Revision mit Blick auf die Anspruchshöhe zugelassen.

Grundlage der vom Erst- sowie auch dem Berufungsgericht vorgenommenen Schätzung bildete ein Sachverständigengutachten, wonach zwei Mängelbeseitigungsvarianten in Betracht kamen. Nach der kostengünstigeren Variante A wäre die Unvollständigkeit der Abdichtung nicht vollständig zu beseitigen, nach der teureren Variante B mit Kosten von 138.920 Euro wäre Abdichtung vollständig möglich. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass sich die Kläger mit Variante A nicht zufriedengeben müssten, allerdings sei ihren zu Lasten die vom Sachverständigen genannte Schätzungenauigkeit von +/- 30% zu berücksichtigen, da den Klägern nur das zuerkannt werden könne, was an Mängelbeseitigungskosten „sicher anfallen würde“. Unsicherheiten bei der Ermittlung der Mangelbeseitigungskosten dürften nicht zulasten des Schädigers gehen.

Der BGH hat in seiner Entscheidung zunächst die Annahme des Berufungsgerichts bestätigt, dass sich die Anspruchsteller nicht mit der kostengünstigsten Variante zufriedengeben müssten. Gleiches gilt für den abgelehnten Abzug „neu für alt“.

Im Übrigen aber hat er die Annahmen des Berufungsgerichts zur Bestimmung der konkreten Schadenshöhe als rechtlich nicht haltbar zurückgewiesen. Der BGH hat ausgeführt:

„Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann.

Mit der Begründung des Berufungsgerichts können bei der Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs die durch den Sachverständigen ermittelten Kosten für die notwendigen Sanierungsarbeiten allerdings nicht um 30% gekürzt werden.

Den zur Mängelbeseitigung erforderlichen Betrag hat das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu ermitteln.

(…)

Das Berufungsgericht überspannt das Maß notwendiger Überzeugung im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO und verkennt damit Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung.

Steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Grunde nach fest und bedarf es lediglich der Ausfüllung zur Höhe, kommt dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute. Im Unterschied zu den strengen Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO reicht bei der Entscheidung über die Schadenshöhe eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung aus; dabei soll die Schätzung möglichst nahe an die Wirklichkeit heranführen.

Das hat das Berufungsgericht verkannt. Es meint, es dürfe nur der Betrag ausgeurteilt werden, der im Rahmen der vorzunehmenden Schätzung für die Mängelbeseitigung sicher anfalle, so dass bei einer Schätzungsbandbreite regelmäßig nur der untere Betrag als Schaden ausgeurteilt werden könne. Zu Unrecht fordert es damit für die von ihm vorzunehmende Schadensbemessung eine sogar im Rahmen des § 286 ZPO nicht erforderliche absolute Gewissheit. Zwar dürfen auch bei einer Schätzung gemäß § 287 ZPO Zweifel an der Höhe der zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten im Grundsatz nicht zulasten des Schädigers gehen (vgl. BGH, Urt. v. 10.04.2003 – VII ZR 251/02NJW-RR 2003, 878, 879; OLG Celle, Urt. v. 17.01.2013 – 16 U 94/11BauR 2014, 134, 139). Es liegt aber in der Natur der Sache, dass bei der fiktiven Berechnung der für die Schadensbeseitigung erforderlichen Sanierungskosten eine (gewisse) Unsicherheit verbleibt, ob der objektiv zur Herstellung erforderliche (ex ante zu bemessende) Betrag demjenigen entspricht, der bei einer tatsächlichen Durchführung der Reparatur angefallen wäre oder anfallen würde. Wird der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten bemessen, hat das Gericht daher eine Schadensermittlung nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmen und insoweit zu prüfen, in welcher Höhe ein Schaden überwiegend wahrscheinlich ist. Das gilt auch und gerade dann, wenn in einem Sachverständigengutachten eine Schätzungsbandbreite genannt wird. (…)“

Als Konsequenz vorzitierter Mängel hat der BGH den Fall zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen

Fazit

Mit dieser Entscheidung hat der BGH zunächst bestätigt, dass für die Ermittlung der fiktiven Schadenshöhe § 287 ZPO maßgeblich ist. Für die richterliche Überzeugungsbildung genügt hierbei eine

„erhebliche, auf eine gesicherte Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit.“

Ein am Ende verbleibender Rest Unsicherheit liegt in der Natur der erleichterten Schadensermittlung nach § 287 ZPO. Hieraus folgt für die Instanzgerichte, dass es gerade nicht zulässig ist, als Schaden den vom Sachverständigen benannten Minimalbetrag anzunehmen. Das Gericht hat sich richtigerweise an den höchstwahrscheinlich zur Mängelbeseitigung erforderlichen Betrag heranzutasten. Für Anspruchssteller bedeutet dies, dass es ratsam sein kann, zur Bestimmung der „wahrscheinlichen Kosten“ einen eignen Sachverständigen unterstützend hinzuzuziehen.

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Schätzung fiktiver Mängelbeseitigungskosten

Bereits seit einiger Zeit ist durch eine Grundsatzentscheidung des BGH geklärt, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, vgl. BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az. V ZR 33/19. Für die Praxis ist hieran anknüpfend von besonderer Relevanz, wie das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Gericht die Höhe solcher fiktiven Schadenskosten zu bestimmen hat.

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EUGH-Urteil „LKW Walter“

Die im Ausgangspunkt sehr zu begrüßende Möglichkeit, auch im grenzüberscheitenden EU-Geschäftsverkehr eigene Rechte möglichst einfach und schnell durchsetzen zu können, birgt einige Tücken. Die Erfahrungen des Verfassers zeigen, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Falle des Eingangs rechtlich relevanter Post aus dem Ausland oftmals überfordert sind. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die aus dem Ausland eingehenden gerichtlichen Schriftstücke nicht selten den europarechtlichen Anforderungen nicht entsprechen.

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EUGH-Urteil „LKW Walter“

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EUGH-Urteil „LKW Walter“ zu Artikel 8 EUZVO 2007: Frist zur Annahmeverweigerung einer Zustellung aus dem europäischen Ausland und nationale Fristen

Problemstellung

Die im Ausgangspunkt sehr zu begrüßende Möglichkeit, auch im grenzüberscheitenden EU-Geschäftsverkehr eigene Rechte möglichst einfach und schnell durchsetzen zu können, birgt einige Tücken. Die Erfahrungen des Verfassers zeigen, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Falle des Eingangs rechtlich relevanter Post aus dem Ausland oftmals überfordert sind. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die aus dem Ausland eingehenden gerichtlichen Schriftstücke nicht selten den europarechtlichen Anforderungen nicht entsprechen. So sieht Art. 8 der Europäische Zustellungsverordnung 2007 (Verordnung Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten; kurz: EUZVO 2007) vor, dass jedem Schriftstück, das Gerichte innerhalb der EU zustellen wollen, ein im Anhang der Verordnung vorgegebenes Formblatt beizufügen ist, aus dem sich die wichtigen Rechte des Empfängers ergeben. Ohne dieses Formblatt ist die Zustellung unwirksam, Fristen beginnen nicht zu laufen. Weiterhin sieht Art. 8 der EUZVO vor, dass dem Empfänger das Recht zu steht, die Annahme zu verweigern oder das Schriftstück binnen einer Woche zurückzusenden, wenn er es nicht verstehen kann. Dieser Fall ist sehr praxisrelevant, weil es eher Regel als Ausnahme ist, dass die Schriftstücke ohne Übersetzung in die Sprache des Empfängers auf den Weg gebracht werden.

Mit letzterem Schutzrecht des Empfängers – der einwöchigen Überlegungsfrist – hat sich jüngst der EUGH in seinem Urteil vom 7.7.2022 (C-7/21; „LKW Walter“) mit Blick auf die bedeutsame Frage beschäftigt, wie nationale Rechtsmittelfristen und die Frist zur Annahmeverweigerung (Überlegungsfrist) zusammenspielen.

Diesem Urteil des EUGH kommt große Bedeutung zu, da darin einmal mehr deutlich gemacht wird, dass die europäischen Vorschriften zum Schutz des Empfängers bei grenzüberschreitenden Zustellungen streng auszulegen sind und nationale Vorschriften, die diesen Schutz mindern, rechtswidrig und daher unbeachtlich sind.

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Das EUGH-Urteil „LKW-Walter“

Kurz gefasst lag dem Urteil des EUGH vom 7.7.2022 (C-7/21) der Sachverhalt zugrunde, dass in einer österreichisch-slowenischen Konstellation die slowenischen Gerichte einen aus Österreich erhobenen Einspruch gegen einen slowenischen Zahlungstitel als nicht fristgerecht erachtet hatten. Hierbei hatten die slowenischen Gerichte für den Beginn der Einspruchsfrist den Tag der Zustellung in Österreich zugrunde gelegt und somit die Wochenfrist des Art. 8 EUZVO 2007 bei Berechnung der sehr kurzen 8-tägigen Einspruchsfrist außer Acht gelassen. Gerechnet ab Zustellung war dann auch der durch österreichische Anwälte eingelegte Einspruch verfristet. Durch alle Instanzen hindurch hielten die slowenischen Gerichte an ihrer Berechnungsweise fest. Erst im Rahmen eines Anwaltshaftungsverfahrens kam es zur Vorlage des Falles beim EUGH.

 

Zu der letztlich allein relevanten Vorlagefrage, ob die Wochenfrist des Art. 8 EUZVO 2007 nationale Rechtsmittelfristen hemmt, hat der EUGH insbesondere die folgenden Feststellungen getroffen:

„35 Diese Möglichkeit, die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, stellt ein Recht des Empfängers dieses Schriftstücks dar (Urteil vom 6. September 2018, Catlin Europe, C 21/17, EU:C:2018:675, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Empfänger kann dieses Recht bei der Zustellung des Schriftstücks oder binnen einer Woche ausüben, sofern er das Schriftstück innerhalb dieser Frist zurücksendet.“

„36 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ebenfalls, dass dieses Recht, die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, es ermöglicht, die Verteidigungsrechte des Empfängers dieses Schriftstücks unter Beachtung der in Art. 47 Abs. 2 der Charta verankerten Anforderungen an ein faires Verfahren zu schützen. Denn auch wenn die Verordnung Nr. 1393/2007 in erster Linie darauf abzielt, die Wirksamkeit und die Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren zu verbessern und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, dürfen diese Ziele nicht dadurch erreicht werden, dass in irgendeiner Weise Abstriche bei der effektiven Wahrung der Verteidigungsrechte der Empfänger der betreffenden Schriftstücke gemacht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2018, Catlin Europe, C 21/17, EU:C:2018:675, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).“

„41 Die praktische Wirksamkeit des Rechts, die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, setzt zum einen voraus, dass der Empfänger über das Bestehen dieses Rechts belehrt worden ist, und zum anderen, dass er über die volle Frist von einer Woche verfügt, um zu beurteilen, ob er das Schriftstück annehmen oder seine Annahme verweigern soll, und um es im Fall der Verweigerung zurückzusenden.“

„45 Das mit Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 verfolgte Ziel, jede Diskriminierung zwischen diesen beiden Gruppen von Empfängern zu vermeiden, verlangt aber, dass die Empfänger, die das Schriftstück in einer anderen als der in dieser Bestimmung genannten Sprache erhalten, ihr Recht, die Annahme dieses Schriftstücks zu verweigern, ausüben können, ohne einen verfahrensrechtlichen Nachteil in Anbetracht ihrer grenzüberschreitenden Situation zu erleiden.“

„46  Folglich darf, wenn das zuzustellende Schriftstück nicht in einer der in dieser Bestimmung genannten Sprachen abgefasst oder in eine solche übersetzt ist, die Frist von einer Woche, die in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 vorgesehen ist, nicht gleichzeitig mit der Frist zu laufen beginnen, die für die Einlegung eines Rechtsmittels nach der Regelung desjenigen Mitgliedstaats gilt, zu dem die Behörde gehört, die das Schriftstück ausgestellt hat, da andernfalls die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 47 der Charta beeinträchtigt würde. Die Rechtsmittelfrist muss vielmehr grundsätzlich nach Ablauf der in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 vorgesehenen Frist von einer Woche zu laufen beginnen.“

Fazit

Empfänger gerichtlicher Schriftstücke aus dem EU-Ausland sollten genau darauf achten, dass das ausländische Gericht die Rechte des Empfängers gemäß der EUZVO streng beachtet. Verstöße führen im Zweifel zur Unwirksamkeit der Zustellung. Fristen nach nationalem Recht des Ausgangsstaates können nicht zu laufen beginnen, bevor nicht eine wirksame Zustellung an den Empfänger erfolgt ist. Dies schließt ein, dass dem Empfänger die volle einwöchige Überlegungsrist des Art. 8 EUZVO 2007 [Anmerkung: Die neue EUZVO 2020 sieht in Art. 12 mittlerweile eine zweiwöchige Frist vor] zur Verfügung stand.

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Bereits seit einiger Zeit ist durch eine Grundsatzentscheidung des BGH geklärt, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, vgl. BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az. V ZR 33/19. Für die Praxis ist hieran anknüpfend von besonderer Relevanz, wie das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Gericht die Höhe solcher fiktiven Schadenskosten zu bestimmen hat.

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EUGH-Urteil „LKW Walter“

Die im Ausgangspunkt sehr zu begrüßende Möglichkeit, auch im grenzüberscheitenden EU-Geschäftsverkehr eigene Rechte möglichst einfach und schnell durchsetzen zu können, birgt einige Tücken. Die Erfahrungen des Verfassers zeigen, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Falle des Eingangs rechtlich relevanter Post aus dem Ausland oftmals überfordert sind. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die aus dem Ausland eingehenden gerichtlichen Schriftstücke nicht selten den europarechtlichen Anforderungen nicht entsprechen.

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Pacta sunt servanda – auch in Corona Zeiten!

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Pacta sunt servanda – auch in Corona Zeiten!

Der BGH hat jüngst in zwei richtungsweisenden Urteilen klargestellt, dass dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ („Verträge sind einzuhalten“) auch unter ungewöhnlichen, von niemanden einkalkulierten Umständen wie die Corona-Krise besondere Beachtung gebührt. Richtig so!

Concept of signing to sign a contract.

Problembeschreibung

Unzählige Vertragsverhältnisse konnten seit Beginn der Corona-Krise nicht planmäßig durchgeführt werden (vgl. dazu auch diesen Beitrag). Schuld waren meist die staatlichen Corona-Maßnahmen, für die naturgemäß keine der Vertragsparteien eine Verantwortung trifft. Dies hat die spannende Frage aufgeworfen, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen die vertragliche Hauptleistung – z.B. die Überlassung der Räumlichkeiten in mietrechtlichen Konstellationen – trotz der Corona-Maßnahmen nach wie vor erbracht werden konnte, allerdings die Nutzung der Räume für den Mieter infolge der Corona-Maßnahme ganz oder teilsweise nicht möglich war.

Die Instanzgerichte haben in den zurückliegenden rund zwei Jahren allzu leicht der belasteten Partei – im vorgenannten Beispiel also dem Mieter – das Recht auf Kürzung oder gar Fortfall der eigenen Leistungspflicht (z.B. Mietzahlung) zugesprochen. Oft wurde dabei pauschal vorgegangen und z.B. eine Teilung ausgeurteilt.

Dieses Vorgehen ist nach nun ergangener BGH-Rechtsprechung rechtlich nicht haltbar. Dieser Rechtsprechung ist zuzustimmen!

Die Klarstellungen des BGH im Einzelnen 

Ausgangspunkt: pacta sunt servanda

Wie schon eingangs erwähnt, hat der BGH in zwei aktuellen, für das Recht auf Vertragsanpassung nach § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) richtungsweisenden Entscheidungen in begrüßenswert deutlicher Form klargestellt, dass Verträge auch im Falle einer späteren schwerwiegenden Änderung der vertraglichen Grundlagen grundsätzlich einzuhalten sind.

Würdigung der vereinbarten und/oder im Vertrag angelegten Risikoverteilung – wer trägt das Verwendungsrisiko?

Dies gilt insbesondere und selbstverständlich dann, wenn das sich infolge der geänderten Umstände realisierte Risiko einer Vertragspartei gesetzlich und/oder vertraglich zugewiesen ist.

Am Beispiel des Gewerberaummietrechts hat der BGH in seinem Urteil vom 12. Januar 2022, Az. XII ZR 8/21, erläutert, wie streng die Verpflichtung zum Einhalten eines geschlossenen Gewerbemietvertrages zu verstehen ist.

Dazu Folgendes:

Gegenstand dieses neuen Urteils des BGH vom 12. Januar 2022 war die vollständige Schließung eines Ladengeschäfts, die durch Corona bedingte behördliche Maßnahmen erforderlich geworden war.

Für den Mieter bedeutete dies für den Schließungszeitraum einen vollständigen Wegfall der Verwendungsmöglichkeiten hinsichtlich des von ihm angemieteten Gewerberaums.

Zu diesem Sachverhalt hat der BGH festgestellt, dass

  • der komplette Fortfall der Verwendungsmöglichkeiten weder einen Mangel der Mietsache noch einen Fall der Unmöglichkeit der Überlassung der Mietsache darstellt, und
  • bei mietrechtlichen Vertragsverhältnissen das sogenannte Verwendungsrisiko qua Gesetz beim Mieter liegt.

Gegenstand des Verwendungsrisikos ist dabei laut BGH insbesondere auch die Erwartung des Mieters ist, Gewinne erwirtschaften zu können.

Noch bedeutsamer ist die weitere Feststellung des BGH, dass die Übernahme des vorgeschriebenen Verwendungsrisikos auch nachträglich eintretende Umstände, z.B. in Form behördlicher Maßnahmen, umfasst. Der BGH hat ausgeführt:

„Das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache trägt bei der Gewerberaummiete dagegen grundsätzlich der Mieter. Dazu gehört vor allem das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines nachträglich eintretenden Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Mieters. Das gilt auch in Fällen, in denen es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Mieters kommt (Senatsurteil vom 13. Juli 2011 – XII ZR 189/09NJW 2011, 3151 Rn. 8 f. mwN).“

Recht auf Vertragsanpassung als große Ausnahme

Als eine Konsequenz daraus, dass das Verwendungsrisiko auch nachträglich eintretende, dabei möglicherweise schwerwiegend wirkende, Umstände umfasst, hat der BGH weiterhin klargestellt, dass ein Anspruch der betroffenen Partei auf Vertragsanpassung unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB nicht in Betracht kommen kann, wenn und soweit die fraglichen Umstände, auf die ein solches Anpassungsrecht gestützt wird, vom von dieser Partei übernommenen Vertragsrisiko umfasst ist.

Der BGH hat dazu in wiederum begrüßenswerter Klarheit ausgeführt:

„Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist allerdings grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen (Senatsurteil BGHZ 223, 290 = NJW 2020, 331 Rn. 37 mwN).“

Zwischen Fazit

„Pacta sunt servanda“ bedeutet, dass übernommene Vertragspflichten grundsätzlich auch bei einer nachträglichen schwerwiegenden Veränderung der dem Vertrag zugrunde liegenden Umstände unverändert fortgelten.

Insbesondere wenn also nach den getroffenen Vereinbarungen ein bestimmtes Vertragsrisiko, z.B. das Verwendungsrisiko, von einer Partei übernommen worden ist, so können Umstände, die dieses übernommene Risiko betreffen, nicht Basis eines Vertragsanpassungsanspruchs sein.

BEACHTE:

Selbst wenn eine Auslegung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die im fraglichen Fall eingetretenen Umstände das übernommene Risiko „sprengen“, führt dies nicht dazu, dass die vereinbarte Risikoverteilung unbeachtlich wird.

Vielmehr trägt in solchen Fällen, auch dies hat der BGH klargestellt, die nach den getroffenen Vereinbarungen risikotragende Partei das verwirklichte Risiko nicht allein. Anhand der Umstände des Einzelfalles ist zu ermitteln, wie die Parteien an den Folgen des verwirklichten Risikos konkret zu beteiligen sind. Der BGH hat ausgeführt:

„Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte im vorliegenden Fall nicht vertraglich das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall einer pandemiebedingten Schließung ihres Einzelhandelsgeschäfts übernommen.“

Wichtig an vorzitierter Feststellung ist wie gesagt, dass der BGH selbst bei einer kompletten Schließung nur annimmt, dass in diesem Fall das Verwendungsrisiko nicht allein beim Mieter zu sehen ist.

Inhalt und Verlust des Vertragsanpassungsrechts

Für den Fall, dass der betroffenen Partei ausnahmsweise ein Recht auf Vertragsanpassung gemäß den vorgeschriebenen Kriterien zuzubilligen ist, hat der BGH auf Rechtsfolgenseite, also mit Blick auf den Inhalt einer etwaigen Vertragsanpassung, wiederum dem Grundsatz des pacta sunt servanda ein hohes Gewicht beigemessen.

Mit weiterem Urteil vom 2. März 2022, Az XII. ZR 36/21 hat der BGH zunächst darauf hingewiesen, dass es für ein Recht auf Vertragsanpassung noch nicht ausreichend ist, dass die fraglichen veränderten Umstände das vertraglich übernommene Risiko übersteigen. Der BGH hat in seinem Urteil vom 12. Januar 2022 (Az. XII ZR 8/21) ausgeführt:

Auch wenn die mit einer pandemiebedingten Betriebsschließung verbundene

Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann, bedeutet dies aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann.“

Vielmehr muss hinzukommen, dass unter Würdigung wiederum aller Umstände des Einzelfalls das unveränderte Festhalten am Vertrag als gänzlich unzumutbar erscheint.

Für die Frage der Zumutbarkeit kommt der vereinbarten Risikoverteilung besondere Bedeutung zu. Dies hat der BGH in diesem weiteren Corona-Urteil vom 2. März 2022 (Az. XII ZR 36/21) explizit herausgestellt:

Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Das Gericht muss daher nach § 313 Abs. 1 BGB diejenigen Rechtsfolgen wählen, die den Parteien unter Berücksichtigung der Risikoverteilung zumutbar sind (MünchKommBGB/Finkenauer 8. Aufl. § 313 Rn. 89) und durch die eine interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt wird (BGH Urteil vom 21. September 1995 – VII ZR 80/94ZIP 1995, 1935, 1939 mwN).“

Den vorzitierten Ausführungen des BGH ist eine weitere wichtige und dabei sehr begrüßenswerte Feststellung zu entnehmen. Diese besteht darin, dass im Falle der Bejahung eines Vertragsanpassungsanspruchs inhaltlich eine Anpassung zu wählen ist, die einen möglichst geringen Eingriff in das ursprünglich Vereinbarte darstellt. Damit hat der BGH ein weiteres Mal den hohen Stellenwert des Pacta-sunt-servanda Grundsatzes herausgestellt.

Vertragsanpassungen sind nach den zutreffenden Ausführungen des BGH „Millimeter Arbeit“.

Jede inhaltliche Anpassung des Vereinbarten bedarf einer besonderen Rechtfertigung, die unter Beachtung der vorbeschriebenen Kriterien und unter Abwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu begründen ist.

BEACHTE:

Aus dem Dargestellten folgt, konsequenterweise, dass die unter Umständen anspruchsberechtigte Partei ihr Vertragsanpassungsrecht auch wieder – und zwar endgültig – verlieren kann!

Dies gilt nämlich dann, wenn die Partei das ihr angebotene Anpassungsrecht endgültig ablehnt. Letzteres war im vom BGH mit Urteil vom 2. März 2022 entschiedenen Fall gegeben.

In diesem Fall musste die dort streitgegenständliche Hochzeitsfeier Corona-bedingt für den geplanten Termin abgesagt werden. Vom Vermieter der Hochzeitsräumlichkeiten waren Ersatztermine genannt worden, an denen das Brautpaar allerdings kein Interesse mehr zeigte, es wollte ausschließlich die bereits gezahlte Miete erstattet bekommen.

Der BGH hat dazu entschieden, dass der Anspruch auf Rückzahlung der Miete nicht besteht. Das Ehepaar hätte sich zumindest mit einer Verschiebung der Feier einverstanden erklären müssen. Da es dies abgelehnt hatte, blieb es bei der Mietzahlungspflicht. 

Der BGH hat ausgeführt (ab Rz. 41 des Urteils):

(…) Rechtsfehlerhaft ist dagegen, dass das Berufungsgericht nicht ausreichend in den Blick genommen hat, ob sich der Anspruch der Kläger nach § 313 Abs. 1 BGB auf Vertragsanpassung auf die von der Beklagten angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier beschränkt, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. (…)  Dabei hat es jedoch nicht angemessen berücksichtigt, dass die Beklagte den Klägern bereits am 26. März 2020 eine Vielzahl von Ausweichterminen, auch für das Jahr 2021, angeboten hat, die den Klägern eine langfristige Planung auch unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung des Pandemiegeschehens ermöglicht hätte. Dieses Angebot zu einer kostenlosen Umbuchung des Termins hat die Beklagte am 25. April 2020 wiederholt. Die Kläger waren jedoch zu weiteren Verhandlungen mit der Beklagten über eine angemessene Vertragsanpassung nicht bereit und haben das Angebot auf Verlegung des Termins pauschal abgelehnt. Dies zeigt, dass die Kläger an einer interessengerechten Lösung nicht interessiert waren, sondern allein eine Aufhebung des Mietvertrags erreichen und damit das Risiko der Absage der Feier einseitig auf die Beklagte verlagern wollten.

(…)

Die von den Klägern angestrebte Vertragsanpassung dahingehend, dass sie von ihrer Verpflichtung zur Mietzahlung ganz oder teilweise befreit werden, kommt somit nicht in Betracht, weil ihnen die Annahme des Angebots der Beklagten auf Verlegung des Termins für die geplante Hochzeitsfeier unter Abwägung aller Umstände einschließlich der vertraglichen Risikoverteilung (§ 313 Abs. 1 BGB) zumutbar ist. (…)“

BEACHTE:

Wesentlich ist das vorzitierte Urteil vom 2. März 2022 auch unter einem weiteren Gesichtspunkt. Denn der BGH hat in diesem Urteil, das im Anschluss an das erste Corona-Urteil vom 12. Januar 2022 (BGH-Urteil vom 12.02.2022, Az. XII ZR 8/21), bei dem es bekanntlich um Gewerbemietrecht ging, ergangen ist, nun auch für den  Verbraucherbereich entschieden, dass der Grundsatz „pacta sunt servanda“ sehr streng anzuwenden ist und eine Vertragsanpassung daher nur in absoluten Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann.

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Gesamt-Fazit

Pacta sunt servanda! Auch in Corona-Zeiten.

 

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Klage aus dem Ausland – Zustellung wirksam?

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Klage aus dem Ausland – Zustellung wirksam?

Verklagt zu werden, ist immer unerfreulich. Hat man es allerdings mit einer Klage aus dem Ausland zu tun, ist das Ärgernis aus diversen Gründen erheblich größer, nur beispielhaft sei auf die oft erheblichen Kosten hingewiesen. Die erste Frage, die Sie aufwerfen sollten, wenn Sie in Ihrem Briefkasten eine Klage aus dem Ausland vorfinden, lautet: Ist Zustellung der Klage überhaupt wirksam? Oftmals ist dies nämlich nicht der Fall, was Ihnen diverse Vorteile bringt (z.B. Zeitgewinn, Möglichkeit eigener prozessualer Schritte etc.).

Am Beispiel einer Klage aus dem EU-Ausland seien nachfolgend die Anforderungen an eine wirksame Zustellung sowie die ggf. zu empfehlende Reaktion dargestellt.

Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Zustellung einer Klage aus dem (EU-)Ausland

Für eine wirksame Zustellung bestehen gemäß der EU-Zustellungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen) zwei wesentliche Voraussetzungen:

  • Die Klage muss in aller Regel in deutscher Übersetzung übermittelt werden. Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn Sie als Beklagte nachweislich die Sprache des Klägers beherrschen.
  • Der Klage muss das Formblatt gemäß Annex II zur EU-Zustellungsverordnung in deutscher Sprache nebst Belehrung über das Recht der Annahmeverweigerung beigefügt sein.

Zudem muss der Kläger die Zustellung auch belegen können. Übermittelt das ausländische Gericht die Klage mit gewöhnlicher Post, empfiehlt es sich in jedem Falle, den Posteingang zu ignorieren.

Rechtslage, wenn es an einer der Anforderungen an eine wirksame Zustellung fehlt

Zustellmängel haben folgende Rechtsfolgen:

Fehlende Übersetzung der Klage aus dem Ausland

Fehlt es an einer Übersetzung, gilt:

Ein Recht zur Annahmeverweigerung besteht dann, wenn der Empfänger die Sprache des Originals nicht versteht. Im Bereich des Englischen ist hier einiges streitig, aber bei allen anderen Sprachen kann als eindeutig bezeichnet werden, dass der deutsche Empfänger auf eine Übersetzung bestehen kann und deshalb die Annahme verweigern darf.

Grundsätzlich müsste die Annahme gegenüber dem Überbringer (= Post) verweigert werden.

Bei einem – wie meist – Einschreiben ist dies praktisch nicht möglich, weil man dessen Inhalt bei Übergabe ja noch nicht kennt. Deshalb sieht das Gesetz eine Frist von einer Woche vor, im Rahmen derer das Schriftstück unter Verwendung des oben erwähnten Formblatts, das auch die Anschrift für die Rücksendung enthalten muss, vor.

Fehlen von Formblatt und/oder wirksamer Belehrung bei Klage aus dem Ausland

Wie oben ausgeführt, muss der übersetzen Klage auch das Formblatt in deutscher Sprache beigefügt sein. Fehlt es an dem Formblatt oder ist es nicht in deutscher Sprache, so liegt auch keine wirksame Belehrung vor.

Vor allem das Fehlen einer wirksamen Belehrung, aber auch des Fehlen des Formblatts als solchem, bedeuten einen Zustellungsmangel, der ohne Heilung die Zustellung unwirksam bleiben lässt.

Handlungsmöglichkeiten bei Zustellfehlern

Einem auf einer nicht wirksam zugestellte Klage beruhenden ausländischen Titel (Urteil) würde in Deutschland ein Vollstreckungshindernis entgegenstehen.

Sie als Beklagter könnten daher erwägen, gar nichts weiter zu unternehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es an der wirksamen Belehrung fehlt. Denn gemäß Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH-Urteil vom 2.3.2017 (C-354/15) kann ein reiner Fristablauf den Mangel der fehlenden Belehrung nicht heilen. Die Belehrung muss also nachgeholt werden.

Ganz gesichert ist die vorbeschriebene Rechtslage allerdings nicht. Insbesondere dann nicht, wenn der Beklagte komplett untätig bleibt. Denn das europäische Verfahrensrecht ist bestrebt, im europäischen Raum möglichst reibungslosen Rechtsschutz zu gewähren. Letzteres bedeutet, dass der Kläger möglicherweise trotz des Zustellungsmangels gehalten ist, gegenüber dem Gericht im Ausgangsstaat zu reagieren.

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Fazit / Empfehlung

Es erscheint ratsam, auch bei festgestellten Zustellungsmängeln vorsichtig zu agieren. Dies bedeutet, dass zumindest das ausländische Gericht auf etwaige Zustellmängel hingewiesen werden sollte.

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Bereits seit einiger Zeit ist durch eine Grundsatzentscheidung des BGH geklärt, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, vgl. BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az. V ZR 33/19. Für die Praxis ist hieran anknüpfend von besonderer Relevanz, wie das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Gericht die Höhe solcher fiktiven Schadenskosten zu bestimmen hat.

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Die im Ausgangspunkt sehr zu begrüßende Möglichkeit, auch im grenzüberscheitenden EU-Geschäftsverkehr eigene Rechte möglichst einfach und schnell durchsetzen zu können, birgt einige Tücken. Die Erfahrungen des Verfassers zeigen, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Falle des Eingangs rechtlich relevanter Post aus dem Ausland oftmals überfordert sind. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die aus dem Ausland eingehenden gerichtlichen Schriftstücke nicht selten den europarechtlichen Anforderungen nicht entsprechen.

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Prozessrecht: Der untätige Sachverständige

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Prozessrecht: Der untätige Sachverständige -Verschärfungen durch Reform des Sachverständigenrechts mit Wirkung seit 15.10.2016

Der untätige Sachverständige bedeutet für Betroffene ein großes Dilemma. Der Gesetzgeber hat dies durchaus erkannt und hat mit einer Reform des Sachverständigenrechts mit Wirkung seit 15.10.2016 (Gesetz v. 11.10.2016, BGBl. I S. 2222) durchaus relevante Verschärfungen im Zivilprozessrecht verankert.

Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick hinsichtlich der Problematik um den untätigen Sachverständigen sowie der geltenden Rechtslage seit der jüngsten Reform des Sachverständigenrechts. 

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Problembeschreibung: Der untätige Sachverständige

Sachverständigengutachten haben im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten eine erhebliche praktische Bedeutung. Gerade in haftungsrechtlichen Streitigkeiten hängt die Frage der Berechtigung eines Anspruchs regelmäßig von Fragen ab, die das zur Entscheidung berufene Gericht mangels hinreichender eigener Sachkunde nicht selbst beantworten kann. Dann kommt es unweigerlich zur Beauftrag eines (vermeintlich) geeigneten Sachverständigen durch das Gericht.

Auf diese Weise rückt ein Sachverständiger regelmäßig in den Mittelpunkt von Zivilprozessen, in denen es nicht selten um Forderungen in Millionenhöhe geht.

Mit Blick auf diese erhebliche Bedeutung der Sachverständigen im Zivilprozess überrascht es, dass die Zivilprozessordnung wenig Handhabe bietet, wenn – was nicht selten der Fall ist – der Sachverständige seiner Pflichten zur Erstellung des beauftragten Sachverständigengutachtens nicht bzw. nur unzureichend nachkommt. Insbesondere der säumige oder gar untätige Sachverständige bedeutet faktisch den Stillstand des betroffenen Zivilprozesses und stellt daher ein großes Ärgernis für die Betroffenen dar.

Der Gesetzgeber hat Schwächen der gesetzlichen Rahmenbedingungen erkannt und durchaus beachtenswerte Verschärfungen im Rahmen einer Reform des Sachverständigenrechts (Gesetz v. 11.10.2016, BGBl. I S. 2222) mit Wirkung seit 15.10.2016 eingeführt. Nach ersten Erfahrungen des Autors fehlt es bislang an einer konsequenten Anwendung dieser verschärften Vorschriften durch die Gerichte.

Rechtslage: Der untätige Sachverständige im Zivilprozess

Die Rechtslage stellst sich seit 15.10.2016 wie folgt überblicksmäßig dar:

Überblick: Sachverständigenrecht der ZPO

Versäumt es ein Sachverständiger, das beauftragte Gutachten in angemessener Zeit zu erstellen, kommt die Frage auf, welche rechtlichen Grundlagen existieren, hierauf zu reagieren.

Die relevanten Regelungen in der Zivilprozessordnung (ZPO) stellen sich wie folgt dar:

Ausgangspunkt bildet § 407 ZPO:

§ 407 ZPO
Pflicht zur Erstattung des Gutachtens

(1) Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerb ausübt oder wenn er zur Ausübung derselben öffentlich bestellt oder ermächtigt ist.

(2) Zur Erstattung des Gutachtens ist auch derjenige verpflichtet, der sich hierzu vor Gericht bereit erklärt hat.“

Demnach ist der einmal bestellte Sachverständige zur Erstellung des Gutachtens gesetzlich verpflichtet. Gründe zur Verweigerung des Gutachtens beschränken sich nach § 408 ZPO auf solche, die auch einen Zeugen zur Aussageverweigerung berechtigten würden. Diese Konstellation kann vorliegend außer Acht bleiben.

Die Folgen bei Ausbleiben des Gutachtens ergeben sich aus den §§ 409, 411 (Abs. 1 u. 2) ZPO:

409 ZPO
Folgen des Ausbleibens oder der Gutachtenverweigerung

(1) 1Wenn ein Sachverständiger nicht erscheint oder sich weigert, ein Gutachten zu erstatten, obgleich er dazu verpflichtet ist, oder wenn er Akten oder sonstige Unterlagen zurückbehält, werden ihm die dadurch verursachten Kosten auferlegt. 2Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt. 3Im Falle wiederholten Ungehorsams kann das Ordnungsgeld noch einmal festgesetzt werden.

(2) Gegen den Beschluss findet sofortige Beschwerde statt.

Vorzitierte Norm befasst sich mit dem Fall, dass der Gutachter zu verstehen gibt, dass er das Gutachten trotz übernommener Pflicht nicht erstatten will. Zwingende Rechtsfolge ist konsequenterweise die Verhängung eines Ordnungsgeldes sowie die Auferlegung der aus der Verweigerung resultierenden Kosten

Von größerer praktischer Bedeutung ist § 411 ZPO, der das Procedere bei – was die Regel ist – Beauftragung eines schriftlichen Gutachtens regelt:

411 ZPO
Schriftliches Gutachten

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) 1Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. 2Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. 3Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. 4Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. 5§ 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

Wichtigste Erkenntnis dieser im Rahmen der Reform des Sachverständigenrechts mit Wirkung ab 15.10.2016 verschärften Norm lautet, dass das Gericht dem Sachverständigen zur Erstellung des Gutachtens von vornherein eine Frist setzen muss (früher: „soll“).

Versäumt der „Gutachtenverweigerer“ diese zwingend zu setzende Frist, „soll“ ein Ordnungsgeld von maximal 3000 Euro festgesetzt werden. Dies gilt allerdings erst, nachdem ihm zunächst die Festsetzung eines solchen Ordnungsgeldes angedroht worden war. Im Falle einer nochmaligen Säumnis kann – dies einmalig (!) – ein Ordnungsgeld nochmals festgesetzt werden.

Wohl größte Relevanz dürfte der Möglichkeit zukommen, dem Sachverständigen seinen Vergütungsanspruch zu entziehen oder zumindest zu kürzen. Hierzu folgt aus § 8a des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG):

§ 8a JVEG
Wegfall oder Beschränkung des Vergütungsanspruchs

(1) Der Anspruch auf Vergütung entfällt, wenn der Berechtigte es unterlässt, der heranziehenden Stelle unverzüglich solche Umstände anzuzeigen, die zu seiner Ablehnung durch einen Beteiligten berechtigen, es sei denn, er hat die Unterlassung nicht zu vertreten.

(2) Der Berechtigte erhält eine Vergütung nur insoweit, als seine Leistung bestimmungsgemäß verwertbar ist, wenn er

1.gegen die Verpflichtung aus § 407a Absatz 1 bis 4 Satz 1 der Zivilprozessordnung verstoßen hat, es sei denn, er hat den Verstoß nicht zu vertreten;

2.eine mangelhafte Leistung erbracht hat;

3.im Rahmen der Leistungserbringung grob fahrlässig oder vorsätzlich Gründe geschaffen hat, die einen Beteiligten zur Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit berechtigen; oder

4.trotz Festsetzung eines weiteren Ordnungsgeldes seine Leistung nicht vollständig erbracht hat.

Soweit das Gericht die Leistung berücksichtigt, gilt sie als verwertbar.“

Demnach kann dem Sachverständigen seine Vergütung entzogen oder zumindest gekürzt werden, wenn er die ihm obliegenden Pflichten verletzt. Im vorliegenden Kontext ist § 8a Abs. 2 Nr. 4 JVEG von besonderer Bedeutung:

Denn hieraus folgt für den Fall eines zweimalig fruchtlos auferlegten Ordnungsgeldes nach § 411 Abs. 2 ZPO, dass dem Sachverständigen in diesem Fall seine Vergütung entzogen werden kann. Näheres zu dieser Regelung ist der zugrunde liegenden Gesetzesbegründung zu entnehmen (BT -Drucksache 17/11471; S. 259):

„Nur für den Fall, dass die gesetzlich beschriebenen Ordnungsmittel (Ordnungsgeld wegen Fristversäumnis und wegen wiederholter Fristversäumnis) fruchtlos bleiben, soll nach der vorgeschlagenen Nummer 4 der Vergütungsanspruch gemindert werden. In diesem Zusammenhang erscheint eine Minderung vorzugswürdig, weil im Falle von fristgerecht erbrachten und verwertbaren Teilleistungen ein vollständiger Wegfall unangemessen erscheint. Auch für die sonstigen Fälle des Absatzes 2 soll die Vergütung nicht generell vollständig entfallen, sondern (nur) für die verwertbaren Leistungen gewährt werden. Soweit jedoch verwertbare Leistungen oder Leistungsteile nicht festgestellt werden, soll der Vergütungsanspruch vollständig entfallen.“

Es lässt sich feststellen, dass im Falle des Ausbleibens verwertbarer Ergebnisse trotz zweifach festgesetzten Ordnungsgeldes der Vergütungsanspruch vollständig zu versagen ist.

Zwischenfazit zum Sachverständigenrecht der ZPO

Die existenten Regelungen zum praktisch sehr bedeutsamen Problem des untätigen Sachverständigen sind erstaunlich dünn. Erfreulich ist, dass mit der Reform des Sachverständigenrechts mit Wirkung ab 15.10.2016 ein bereits mit Beauftragung des Gutachtens in Gang zu setzender Sanktionsmechanismus eingeführt worden ist:

Verweigert ein Sachverständiger trotz zweifache Festsetzung eines Ordnungsgeldes i.S.d. § 4011 Abs. 2 ZPO, droht ihm der vollständige Verlust seiner Vergütung, soweit im Zeitpunkt des fruchtlosen Verstreichens der letzten Frist ein verwertbares Ergebnis nicht vorliegt.

Der untätige Sachverständige: Interessante Rechtsprechung

Wie vorstehend dargelegt, ist die Gesetzeslage betreffend den untätigen Sachverständigen äußerst dünn bzw. lückenhaft. Umso mehr Bedeutung kommt der Rechtsprechung zu, der sich (auszugsweise) folgende Erkenntnisse entnehmen lassen.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 2.5.2019 (8 W 103/19): Gutachtenauftrag bedeutet „hoheitliche Beanspruchung“

Zur Rechtsstellung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen hat das OLG Stuttgart in einer neueren Entscheidung zurecht darauf hingewiesen, dass der Sachverständige eine hoheitliche Position innehat:

„Die Heranziehung eines Sachverständigen durch das Gericht ist eine staatlich hoheitliche Beanspruchung, die nicht den Regeln des Vertragsrechts unterliegt (OVG Berlin, JurBüro 2001, 485; Hartmann, Kostengesetze, 48. Auflage, § 1 JVEG, Rn. 11).“ 

Diese Feststellung des OLG Stuttgart belegt einerseits die besondere Pflichtenstellung des Sachverständigen. Kehrseite hiervon ist allerdings eine äußerst schwache Rechtsposition der Parteien, die auf das Gutachten angewiesen sind. Der Gutachtenauftrag entfaltet insbesondere keine Schutzwirkungen zugunsten der Parteien. (Schadensersatz-)Ansprüche einer Partei gegen den Sachverständigen wegen verzögerter Erstellung des Gutachtens sind deshalb nur sehr schwer auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. Im Falle einer grob fahrlässigen Falschbegutachtung gilt die Spezialregelung des § 839a BGB.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. 6. 2011 (1 W 30/11): Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde, wenn Gericht/Sachverständiger überlange untätig bleiben – sog. „Tu-was-Beschwerde“

Unter anderem das OLG Frankfurt hat zutreffend die Möglichkeit einer sog. Untätigkeitsbeschwerde für zulässig erklärt, wenn ein Sachverständigengutachten unangemessen lange auf sich warten lässt.Das OLG Frankfurt (Beschluss vom 9. 6. 2011, Az. 1 W 30/11) hat in seinem ersten Leitsatz festgestellt:

„Eine Untätigkeitsbeschwerde ist aus Verfassungsgründen ausnahmsweise statthaft, wenn das Ausgangsgericht nicht oder nicht mit gebotener Beschleunigung tätig wird (sog. „Tu-was-Beschwerde“).

Anknüpfungspunkt ist dabei nicht der Sachverständige, sondern das Gericht, welches es versäumt, in geeigneter Form den Sachverständigen zum Tätigwerden zu bewegen.

BGH, Beschluss vom 27. 7. 2006 (VII ZB 16/06): Streitverkündung gegenüber Sachverständigen rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig.

Ungeachtet dessen, dass eine Haftung des Sachverständigen wegen aus seiner Untätigkeit resultierender Schäden (wohl) ohnehin nicht in Betracht kommt, hat der BGH bereits 2006 klargestellt, dass eine Streitverkündung gegenüber einem Sachverständigen im selben Verfahren unzulässig ist. Im entsprechenden Leitsatz heißt es (vgl. Beschluss vom 27. 7. 2006, Az. VII ZB 16/06):

Die Streitverkündung gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigen zur Vorbereitung von Haftungsansprüchen gegen diesen aus angeblich fehlerhafter, im selben Rechtsstreit erbrachter Gutachterleistungen ist unzulässig.“

Hintergrund der Entscheidung sind Fälle, in denen sich aus Sicht einer Partei abzeichnet, dass ein Sachverständiger sein Gutachten zu Lasten dieser Partei (grob) fahrlässig unrichtig erstellt. Dann nämlich kommt ggf. eine Haftung des Sachverständigen nach § 839a BGB in Betracht. Über eine Streitverkündung lässt gemäß dem BGH eine Haftungsklage gegen den Sachverständigen nicht vorbereiten.

Fazit zum untätigen Sachverständigen

Die Zivilprozessordnung hält für den Fall des untätigen Sachverständigen nur wenige Regelungen vor. Vor allem bedeutsam und daher nochmals hervorzuheben ist der mit der  Reform des Sachverständigenrechts mit Wirkung ab 15.10.206 eingeführte Sanktionsmechanismus, an dessen Ende für den untätigen Sachverständigen der vollständige Verlust seiner Vergütung stehen kann.

Das wirkungsvollste Mittel, untätige Sachverständige zur Pflichterfüllung zu animieren, liegt damit meines Erachtens darin, dem säumigen Sachverständigen geeignet vor Augen zu führen, dass ihm bei wiederholter Fristversäumung der vollständige Verlust seiner Vergütung droht. Dies setzt freilich einiges voraus:

  1. Das Gericht muss dem Sachverständigen eine Frist gesetzt haben, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
  2. Nach Versäumung der vorgenannten Frist muss dem Sachverständigen unter Setzung einer Nachfrist zur vollständigen Erbringung der Leistung ein Ordnungsgeld angedroht worden sein.
  3. Dieses Ordnungsgeld muss verhängt sein.
  4. Dem Sachverständigen muss unter Setzung einer weiteren Nachfrist zur vollständigen Erbringung der Leistung ein weiteres Ordnungsgeld angedroht worden sein.
  5. Das weitere Ordnungsgeld muss rechtskräftig verhängt sein.
  6. Mit der Rechtskraft des Weiteren Ordnungsgeldbeschlusses erlischt der Anspruch des Sachverständigen. Eine weitere Fristsetzung ist nicht erforderlich, auch keine allgemeine weitere Verschuldensprüfung.
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Schätzung fiktiver Mängelbeseitigungskosten

Bereits seit einiger Zeit ist durch eine Grundsatzentscheidung des BGH geklärt, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, vgl. BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az. V ZR 33/19. Für die Praxis ist hieran anknüpfend von besonderer Relevanz, wie das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Gericht die Höhe solcher fiktiven Schadenskosten zu bestimmen hat.

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EUGH-Urteil „LKW Walter“

Die im Ausgangspunkt sehr zu begrüßende Möglichkeit, auch im grenzüberscheitenden EU-Geschäftsverkehr eigene Rechte möglichst einfach und schnell durchsetzen zu können, birgt einige Tücken. Die Erfahrungen des Verfassers zeigen, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Falle des Eingangs rechtlich relevanter Post aus dem Ausland oftmals überfordert sind. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die aus dem Ausland eingehenden gerichtlichen Schriftstücke nicht selten den europarechtlichen Anforderungen nicht entsprechen.

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Beweiswert von Privatgutachten

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Zum Beweiswert von Privatgutachten

Der Beweiswert von Privatgtuachten kommt dem gerichtlicher Sachverständigengutchten sehr nahe. Die Praxis wird dem oft nicht gerecht:

So tendieren viele Gerichte dazu, Privatgutachten, d.h. außerhalb des Prozesses beauftragte Gutachten, als lästig zu empfinden. Diese zumeist als parteiisch „abgestempelten“ Gutachten werden deshalb in den meisten Fällen gegenüber gerichtlich beauftragten Gutachten als geringwertiger eingestuft und im Urteil mit floskelartiger Begründung herabgewürdigt. Dieses in der Praxis verbreitete Vorgehen ist allerdings von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht gedeckt! Tatsächlich kommen von den Parteien beigebrachten Gutachten eine wichtige Bedeutung für den verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz der Parteien zu. Nur so lassen sich nämlich – nicht seltene – Fehler in Gerichtsgutachten lückenlos aufdecken.

Der nachfolgende Beitrag setzt sich mit der rechtlichen Behandlung von nicht gerichtlich beauftragten Gutachten im Rahmen bzw. in Vorbereitung eines Zivilprozesses auseinander.

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Grundsatz der freien Beweiswürdigung

Um den Beweiswert von Privatgutachten richtig einordnen zu können, ist zunächst wichtig zu verstehen, wie sich das Gericht gemäß der Zivilprozessordnung seine Überzeugung hinsichtlich des ihm zur Entscheidung vorliegenden Rechtsfalles bildet.

Gemäß § 286 Absatz 1 ZPO gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung:

„Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.“

Demnach bildet sich das Gericht auf Basis des gesammelten Inhalts des Verfahrens „frei“ seine Meinung. „Frei“ bedeutet“ insbesondere, dass das Gericht die einzelnen Beweisergebnisse sowie nicht zuletzt auch alle sonstigen im Rahmen des Verfahrens gesammelten Wahrnehmungen nach freier Überzeugung bewerten darf. Dies bedeutet z.B., dass dem Gericht keinerlei Gewichtung der einzelnen Beweismittel und sonstigen Erkenntnisse vorgegeben ist. So darf das Gericht z.B. einem ihm vorgelegten Privatgutachten mehr Bedeutung beimessen als dem zum gleichen Beweisthema eingeholten Gerichtsgutachten. Somit folgt schon aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, dass der Beweiswert von Privatgutachten im Einzelfall höher ausfallen kann als der eines gerichtlich beauftragten Svhverständigengutachtens.

„Freiheit“ in der Würdigung bedeutet allerdings nicht, dass das Gericht Beweismittel unberücksichtigt lassen dürfte. Gegebenenfalls läge ein erheblicher Verstoß gegen das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf rechtliches Gehör vor. Weitere Einschränkungen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung gelten, wenn dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist, z.B. in § 286 Absatz 2 ZPO:

„An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.“

Ein Beispiel hierfür ist die gesetzlich normierte Beweiskraft bestimmter Urkunden.

Überblick: Beweisarten

Das Privatgutachten ist mit den in der Zivilprozessordnung normierten Beweismitteln in Kontext zu setzen. Die Zivilprozessordnung kennt folgende Formen der Beweisführung:Augenscheinahme

    • Augenscheinnahme
    • Beweis durch Urkunden
    • Zeugenbeweis
    • Sachverständigenbeweis
    • Parteianhörung

 

Augenscheinnahme

„Augenschein“ meint, dass sich das Gericht mit eigenen Augen ein Bild verschafft. Klassisches Beispiel ist der sog. Ortstermin. Der Augenscheinsbeweis ist aber auch über Fotoaufnahmen möglich.

Beweis durch Urkunden

Urkunden sind das zuverlässigste Beweismittel. Ein mittels Urkunden untermauerter Tatsachenvortrag führt dazu, dass die mit der Urkunde belegte Tatsache schon überhaupt nicht streitig wird, sodass es einer Beweiserhebung im eigentlichen Sinne nicht bedarf.  Man unterscheidet zwischen privaten und öffentlichen Urkunden. Private Urkunden erbringen „nur“ Beweis auf die in der Urkunde dokumentierte Erklärung. Öffentliche Urkunden beweisen den gesamten, dokumentierten Vorgang.  Die Tücke dieses Beweismittels liegt darin, dass der „volle Beweis“ voraussetzt, dass eine unstreitig oder erwiesenermaßen echte Urkunde vorliegt, wobei es in der Praxis selten vorkommt, dass die Echtheit einer Urkunde in Zweifel gezogen wird.

Zeugenbeweis

Der Beweis durch Aussage von Zeugen ist auf die Bezeugung von Tatsachen gerichtet. Gegenstand sind konkrete, unmittelbare Wahrnehmungen des Zeugen.

Sachverständigenbeweis

Beweis durch Sachverständige bedeutet, dass Kenntnisse, die dem Gericht fehlen, durch Fachwissen anderer ausgeglichen werden. Der Sachverständige ist damit Gehilfe des Gerichts, weshalb die zivilprozessuale Einordung als Beweismittel missverständlich ist. Theoretisch kann die fachliche Unterstützung des Sachverständigen rein mündlich eingeholt werden, in der Praxis wird aber in aller Regel ein schriftliches Gutachten beauftragt, dass dann bei Bedarf bzw. auf Antrag einer Partei mündlich diskutiert wird.

Ob die streitige Behauptung als bewiesen anzusehen ist, entscheidet nicht der Sachverständige, sondern der Richter. Der Sachverständige hat nur die fachlichen Grundlagen für die Beweiswürdigung des Gerichts zu liefern.

Parteianhörung

Die Anhörung der Parteien selbst ist das schwächste Beweismittel. Zwar ist dies das unmittelbarste, aber eben auch das am wenigsten objektive Mittel, um einen streitigen Sachverhalt zu klären. Dementsprechend ist dieses Beweismittel nur in seltenen Fällen überhaupt zulässig (z.B. Beweisnot).

Die Rechtlage betreffend Privatgutachten

Privatgutachten lassen sich nicht in befriedigender Form unter die oben aufgeführten Beweismittel subsumieren. Der Beweiswert von Privatgutachten ist daher nicht ohne weiteres zu bestimmen.

Unzweifelhaft handelt es sich bei einem schriftlichen Privatgutachten um eine Urkunde, die somit als Urkundenbeweis in einen Rechtsstreit eingeführt werden kann. Nur ist damit nichts gewonnen, da sich der Beweiswert als Urkunde auf die Tatsache beschränkt, dass der Gutachter das Gutachten erstattet hat. „Förmlicher“ Sachverständigenbeweis kann es nicht sein, weil der Beweis nicht vom Gericht im Rahmen der einschlägigen Verfahrensvorschriften (§§ 402 ZPO ff.) erhoben ist. Es verbleibt die Vernehmung des privaten Sachverständigen im Wege des förmlichen Zeugenbeweises. Aber auch das führt nicht weiter, weil der Sachverständige als Zeuge lediglich über eigene Wahrnehmungen (vgl. § 396 ZPO) „Beweis bieten kann“, so also z.B. über seine im Rahmen einer Ortsbesichtigung gewonnenen Eindrücke.

Die Rechtsprechung „löst“ das Dilemma wie folgt:

Nach der seit jeher in der Rechtsprechung herrschenden Auffassung handelt es sich bei von einer Partei vorgelegten Sachverständigengutachten „nur“ um urkundlich belegten substantiierten (qualifizierten) Parteivortrag.

Im Rahmen der oben beschriebenen freien Beweiswürdigung nach 286 ZPO ist das Privatgutachten vom Gericht in seine Beurteilung einzubeziehen. Aufschlussreich hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 11. Mai 1993 (VI ZR 243/92) ausgeführt:

„(…) Der Tatrichter darf ein Privatgutachten zwar durchaus verwerten, hierbei aber nicht außer acht lassen, daß es sich grundsätzlich nicht um ein Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO, sondern um (qualifizierten) substantiierten Parteivortrag handelt (…) eine eigene Beweisaufnahme des Gerichts, insbesondere die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, wird durch ein Privatgutachten allenfalls dann entbehrlich gemacht, wenn der Tatrichter allein schon aufgrund dieses substantiierten Parteivortrags ohne Rechtsfehler zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage gelangen kann (…). Als Sachverständigengutachten im Sinne eines Beweismittels kann ein Privatgutachten nur mit Zustimmung beider Parteien herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1986 – III ZR 233/84 – NJW 1986, 3077, 3079) [BGH 05.05.1986 – III ZR 233/84]. (…)“

Vorzitierte Rechtsprechung mag den Beweiswert von Privatgutachten auf den ersten Blick als zweifelhaft erscheinen lassen. Bei näherem Hinsehen wir das Privatgutachten im Ergebnis aber einem gerichtlichen Sachverständigengutachten (fast) gleichgestellt. So kann das Privatgutachten sogar die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ganz entbehrlich machen, wenn das Gericht auf Grund eigener Sachkunde unter Heranziehung des Privatgutachtens in der Lage ist, zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage zu gelangen.

Beachtenswert ist hier auch ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. April 2017 (Az. 29 U 169/16). Demnach kann ein Privatgutachten unter Umständen als förmlicher Sachverständigenbeweis verwertet werden, nämlich z.B. dann, wenn das Gericht den Privatgutachter ausdrücklich als Sachverständigen zur Vernehmung lädt und es der Prozessgegner unterlässt, der Verwertung als Sachverständigenbeweis zu widersprechen. Das OLG hat ausgeführt:

„(…) Soweit die Beklagte rügt, dass das Landgericht Ausführungen des Sachverständigen Z1 als Sachverständigenbeweis gewürdigt hat, ist dies vorliegend nicht zu beanstanden. Innerhalb der Vernehmung des Sachverständigen Z1 hat das Landgericht zum Ausdruck gebracht, dass es den Sachverständigen Z1 nicht nur entsprechend der Ladung vom 07.07.2015 als Zeugen, sondern auch als Sachverständigen vernimmt. Zwar begründete der Umstand, dass der Sachverständige Z1 zuvor als Privatgutachter der Kl ger t tig war, einen Ablehnungsgrund im Sinne des  406 ZPO (…) eine Ablehnung hat die Beklagte indes trotz der Kenntnis der maßgeblichen Umstände nicht geltend gemacht. Unterlässt eine Partei jedoch die Geltendmachung eines Ablehnungsgrundes, kann dieser grundsätzlich später auch nicht mehr als Verfahrensfehler im Sinne des   § 404 ZPO geltend gemacht werden, sondern stellt lediglich einen bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigenden Umstand dar (…).“

Aber auch sonst gilt:

Fehlt dem Gericht eigene Sachkunde und wird das Gericht mittels Privatgutachten als qualifiziertem Parteivortrag mit Fachwissen konfrontiert, darf es diesen unter keinen Umständen übergehen, sondern muss im Wege des förmlichen Sachverständigenbeweises die Ergebnisse des Privatgutachtens überprüfen.

Privatgutachten versus Gerichtsgutachten

Vorstehendes bedeutet für den Beweiswert von Privatgutachten, die einem förmlichen Gerichtsgutachten entgegengesetzt werden, Folgendes:

Einwendungen der Parteien gegen die Ergebnisse eines Gerichtsgutachters müssen vom Gericht beachtet werden. Solche Einwendungen können sich regelmäßig aus abweichenden Privatgutachten ergeben, die vom Gericht wie oben dargestellt als sog. qualifizierter Parteivortrag zu würdigen sind.

Der Gerichtsgutachter und auch das Gericht müssen sich dann mit dem Privatgutachten inhaltlich auseinandersetzen.

Das Gericht darf nicht einfach – was gerne geschieht – die Feststellungen des Gerichtsgutachters unter floskelhafter Berufung auf eine z.B. „größere Überzeugungskraft“ übernehmen. Können die Divergenzen zwischen Privatgutachten und Gerichtsgutachten nicht nachvollziehbar aufgelöst werden, ist weitere Sachaufklärung geboten.

Vorbeschriebene Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit vom Gerichtsgutachten abweichenden Privatgutachten gründet auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als höchstes deutsches Gericht. In einem Beschluss vom 15. Mai 2012 (1 BvR 1999/09) hat das Bundesverfassungsgericht – nicht zum ersten Mal – festgestellt:

„(…)Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Daraus folgt zwar nicht, dass sie verpflichtet wären, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 88, 366 <375 f.> m.w.N.). Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Gründen aber verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>). Geht ein Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>).“

„(…)Im Hinblick auf die auf mehrere Privatgutachten gestützten Einwände des Beschwerdeführers hätte das Berufungsgericht zumindest eine logisch nachvollziehbare Begründung für sein Festhalten an dem gerichtlichen Sachverständigengutachten geben müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2009 – IV ZR 57/08 -, juris, Rn. 7). Eine solche Begründung fehlt. Das Landgericht verweist lediglich auf das Gutachten und macht sich dessen Schlussfolgerungen zu Eigen, ohne den sich aus den Privatgutachten ergebenden Beanstandungen nachzugehen. Die unkritische Übernahme des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen sowie die fehlende Erwähnung der Privatgutachten im angegriffenen Beschluss legen die Annahme nahe, dass das Landgericht den gegenteiligen Standpunkt des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen, ihn jedenfalls nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. Oktober 1996 – 1 BvR 520/95 -, juris, Rn. 19). Der Verstoß setzt sich in dem Beschluss über die Zurückweisung der Anhörungsrüge fort.(…)“

Die folglich bestehende Pflicht des Gerichts, die vom Gerichtsgutachten abweichenden Ausführungen in seinem Urteil zu würdigen, hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 21. Januar 1997 (Az. VI ZR 86/96) wie folgt konkretisierend umschrieben:

„(…) Gutachten von Sachverständigen unterliegen der freien Beweiswürdigung (§§ 287 I, 286 I ZPO). Dementsprechend darf das Gericht grundsätzlich von dem Gutachten eines Sachverständigen abweichen, wenn es von dessen Ausführungen nicht überzeugt ist. Es bedarf aber der Ausweisung entsprechender Sachkunde, wenn ein Gericht fachkundigen Feststellungen oder fachlichen Schlußfolgerungen eines Sachverständigen nicht folgen will (vgl. Senat, NJW 1988, 3016 = VersR 1988, 837 (unter II 2a)). 

Eine zulässige Abweichung des Gerichts vom Gutachten eines Sachverständigen erfordert stets die Darlegung der hierfür maßgeblichen Erwägungen im Sinne einer einleuchtenden und nachvollziehbaren Begründung im Urteil (vgl. für den Fall widersprechender Gutachten Senat, NJW-RR 1987, 1311 = BGHR-ZPO § 412 Obergutachten 1 (unter II 2b)), die nicht darauf beruhen darf, daß das Gericht eine ihm nicht zukommende eigene Sachkunde in Anspruch nimmt. (…)“

Daraus folgt:

Das Gericht ist zwar nicht verpflichtet, sich zu jedem einzelnen Punkt mit der Auffassung des Privatgutachters auseinanderzusetzen. Es muss aber – dies im Ausgangspunkt gleichrangig – in allen wesentlichen Punkten neben dem Gerichtsgutachten auch die entsprechenden (widersprechenden) Ausführungen im Privatgutachten berücksichtigen und dies in seiner Urteilbegründung auch nachvollziehbar, d.h. überprüfbar, darlegen.

Fazit zum Beweiswert von Privatgutachten

Die mit Blick auf den Beweiswert von Privatgtuachten zugegebenermaßen etwas unübersichtliche Rechtslage geht dahin, dass Privatgutachten – fast – gleichwertig gegenüber gerichtlichen Gutachten sind.

Wie dargestellt, dienen Sachverständige dazu, dem Gericht fehlende Sachkunde zu vermitteln. Mangels eigener Sachkunde darf das Gericht nicht ohne weiteres dem Fachwissen eines gerichtlichen Gutachters dem abweichenden Fachwissen eines Privatgutachters den Vorzug geben.

Die durch den Inhalt eines gerichtlichen Gutachtens beschwerte Partei hat es daher in der Hand, durch privatgutachterliche Einwände das Gerichtsgutachten mindestens zu „neutralisieren“. Erforderlich und eben auch ausreichend ist dafür, dass der Privatgutachter seine vom gerichtlichen Sachverständigengutachten abweichenden Ergebnisse unter Bezugnahme auf das Gerichtsgutachten nachvollziehbar fachlich begründet. Ziel muss sein, Zweifel am Ergebnis des Gerichtsgutachters zu erzeugen. Gelingt dies, so muss das Gericht diesen Zweifeln nachgehen.

Aus obiger Rechtslage folgt übrigens auch, dass die Kosten von Privatgutachten erstattungsfähig sein können. Zwar sieht die Rechtsprechung dies nach wie vor als Ausnahme an. Wenn aber gut begründbar ist, dass die Einholung des Privatgutachtens erforderlich war, um den eigenen Sachvortrag in fachlicher Hinsicht mit der gebotenen Qualität auszustatten, dürften die Chancen gut stehen, diese Kosten später als notwendige Rechtsverfolgungskosten einfordern zu können.

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Bereits seit einiger Zeit ist durch eine Grundsatzentscheidung des BGH geklärt, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, vgl. BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az. V ZR 33/19. Für die Praxis ist hieran anknüpfend von besonderer Relevanz, wie das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Gericht die Höhe solcher fiktiven Schadenskosten zu bestimmen hat.

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EUGH-Urteil „LKW Walter“

Die im Ausgangspunkt sehr zu begrüßende Möglichkeit, auch im grenzüberscheitenden EU-Geschäftsverkehr eigene Rechte möglichst einfach und schnell durchsetzen zu können, birgt einige Tücken. Die Erfahrungen des Verfassers zeigen, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Falle des Eingangs rechtlich relevanter Post aus dem Ausland oftmals überfordert sind. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die aus dem Ausland eingehenden gerichtlichen Schriftstücke nicht selten den europarechtlichen Anforderungen nicht entsprechen.

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Berufungsgerichte weisen erstinstanzlich verspätetes Vorbringen oftmals zu Unrecht zurück

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Berufungsgerichte weisen erstinstanzlich verspätetes Vorbringen oftmals zu Unrecht zurück

In einem sehr praxisrelevanten Beschluss hat der BGH daran erinnert, dass Angriffs- und Verteidigungsmittel, die bereits vom Gericht erster Instanz unberücksichtigt geblieben sind, vom Berufungsgericht in vielen Fällen dennoch berücksichtigt werden müssen (BGH, Beschluss vom 27.2.2018 – Az. VIII ZR 90/17).

1. Die zentrale Vorschrift, die von Berufungsgerichten immer wieder falsch – besser: zu weitreichend – angewendet wird, ist § 531 Abs. 1 ZPO:

„Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.“

Hintergrund ist, dass für die erste Instanz folgende Regelung gilt (§ 296a S.1 ZPO):

„Nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, können Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden.“

Dem reinen Wortlaut nach könnte man meinen, dass Vorbringe, das in erster Instanz unter Berufung auf letztgenannte Vorschrift zurückgewiesen worden war, grundsätzlich mit Blick auf § 531 Abs. 1 ZPO vom Berufungsgericht ebenfalls unberücksichtigt gelassen werden müsste.

Diese Auffassung ist nach übrigens nicht neuer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes falsch.

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Hieran hat der BGH nun mit Beschluss vom 27.2.2018 erinnert und nochmals die Instanzgerichte dahingehend belehrt, dass § 531 Abs. 1 ZPO ausschließlich gilt, wenn Vorbringen in erster Instanz unter Berufung auf die in § 296 Abs. 1 bis Abs. 3 ZPO genannten Fälle zurückgewiesen worden war.

Hingegen greift § 531 Abs. ZPO schlichtweg nicht, wenn der Ausschluss in erster Instanz auf § 296a ZPO zurückgeht – dies unabhängig davon, ob dies zu Recht oder zu Unrecht erfolgt war.

Ergänzend hat der BGH mit Blick auf § 531 Abs. 2 ZPO, der regelt, wann „neuer“ Vortrag in der Berufungsinstanz ausnahmsweise zu berücksichtigen ist, klargestellt, dass

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BGH-Urteil “Influencer II”

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BGH-Urteil “Influencer II”

In seinem Urteil “Influencer II” stellt der BGH auf damit abgewiesene Klagen des VSW (“Verband sozialer Wettbewerb”) klar, dass  vom Influencer eine Werbekennzeichnung seines Beitrags nur dann zu erfolgen hat, wenn er vom betreffenden Unternehmen eine Gegenleistung erhält. In der Pressemmitteilung heißt es:

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In der Pressemitteilung heißt es:

„(…) Hinsichtlich geschäftlicher Handlungen zugunsten fremder Unternehmen scheidet die Annahme eines Verstoßes gegen § 5a Abs. 6 UWG aus, weil die Beklagte für die beanstandeten Beiträge keine Gegenleistung erhalten hat und diese Beiträge daher den vorrangigen Spezialvorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG, § 58 Abs. 1 Satz 1 RStV und § 22 Abs. 1 Satz 1 MStV genügen (siehe dazu die vorstehenden Ausführungen zum Verfahren I ZR 125/20). Ein Verstoß gegen Nr. 11 der Anlage zu § 3 Abs. 3 UWG liegt danach ebenfalls nicht vor. „

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Supreme Court of the USA

Gerichte müssen ihrer sog. Hinweispflicht (§ 139 ZPO) grundsätzlich vor der mündlichen Verhandlung nachkommen! – BGH-Beschluss vom 11.4.2018 (Az. VII ZR 177/17)

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Gerichte müssen ihrer sog. Hinweispflicht (§ 139 ZPO) grundsätzlich vor der mündlichen Verhandlung nachkommen! – BGH-Beschluss vom 11.4.2018 (Az. VII ZR 177/17)

Es ist leider gängige Praxis im Zivilprozess, dass die Gerichte Hinweise an die Parteien erst in der mündlichen Verhandlung erteilen. Mit den Konsequenzen dieser Praxis hat sich der BGH in einem praxisrelevanten Beschluss vom 11.4.2018 (Az. VII ZR 177/17) beschäftigt.

Parteien eines Zivilprozesses und deren Rechtsvertreter erleben es als die Regel, dass sich das zur Entscheidung berufene Gericht erst in der mündlichen Verhandlung zum fraglichen Fall äußert.

Wenn – was oft der Fall ist – sich solche Hinweise auf entscheidungsrelevante Umstände beziehen, hat dies regelmäßig prozessuale Konsequenzen, die von den Beteiligten – im vorliegenden Fall gar auch vom Berufungsgericht – übersehen werden.

Dies hat der BGH in seinem eingangs genannten Beschluss klargestellt, in dem zur Hinweispflicht des Gerichts ausgeführt hat:

Das Landgericht ist seiner Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO nicht hinreichend nachgekommen. Das Gericht muss in Erfüllung seiner prozessualen Fürsorgepflicht gemäß § 139 Abs. 4 ZPO Hinweise auf seiner Ansicht nach entscheidungserhebliche Umstände, die die betroffene Partei erkennbar für unerheblich gehalten hat, grundsätzlich so frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung erteilen, dass die Partei die Gelegenheit hat, ihre Prozessführung darauf einzurichten und schon für die anstehende mündliche Verhandlung ihren Vortrag zu ergänzen und die danach erforderlichen Beweise anzutreten. Erteilt es den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben.

Supreme Court of the USA

Die Konsequenz des vom BGH vorbeschriebenen Versäumnisses des Gerichts, Hinweise bereits vor der mündlichen Verhandlung zu erteilen, benennt der BGH dann wie folgt:

Wenn es offensichtlich ist, dass die Partei sich in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht – wenn es nicht in das schriftliche Verfahren übergeht – auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass die mündliche Verhandlung vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Mit anderen Worten:

Das Gericht kann in solchen Fällen die mündliche Verhandlung nicht einfach als geschlossen betrachten und ein Urteil fällen. Es muss der betroffenen Partei vielmehr hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Ausnahme ist, was allerdings selten der Fall sein dürfte, dass die Partei bei verständiger Würdigung noch in der mündlichen Verhandlung – mithin spontan – hätte hinreichend Stellung beziehen können.

Weitere – für die Praxis vielleicht wichtigste – Konsequenz ist:

Auf einen entsprechenden Antrag auf sog. Schriftsatznachlass kommt es in diesen Fällen nicht an! Auch ohne dass die betroffenen Partei einen solchen Antrag stellt – vorliegend war dies versäumt worden – muss das Gericht rechtliches Gehör gewähren. Hierzu der BGH im fraglichen Beschluss:

In diesem Zusammenhang ist unschädlich, dass der Beklagte keinen Antrag auf Gewährung einer Frist zur Stellungnahme auf den Hinweis gestellt hat. Der Erlass des Urteils unmittelbar am Schluss der Sitzung, ohne dass dem Beklagten Gelegenheit gegeben wurde, auf den Hinweis zu reagieren, stellt sich als verfahrensfehlerhaft dar.

Fazit:

In Kenntnis diese wichtigen Rechtsprechung des BGH können Parteien eines Zivilprozesses mündlichen Verhandlungen erheblich entspannter

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Zur Reichweite eines sog. Schriftsatznachlasses

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Zur Reichweite eines sog. Schriftsatznachlasses

Oder: Wann ist Vorbringen in der Berufungsinstanz „neu“?

Mit Beschluss vom 27.2.2018, Az. VIII ZR 90/17, hat der BGH – sehr bedeutsam für die Praxis konkretisiert, wie umfassend der sog. Schriftsatznachlass gemäß § 283 ZPO zu verstehen ist (vgl. auch den Blog-Beitrag: Berufungsgerichte weisen erstinstanzlich verspätetes Vorbringen oftmals zu Unrecht zurück).

Über den sog. Schriftsatznachlass hat das erstinstanzliche Gericht der durch spätes Vorbringen des Prozessgegners überraschten Partei rechtliches Gehör – dies ohne Vertagung oder Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung – zu gewähren, indem es dieser Partei auf deren Antrag Gelegenheit einräumt, binnen bestimmter Frist zu diesem Vorbringen Stellung zu nehmen.

Bezüglich des Umfangs der Gelegenheit zur Stellungnahme im vorbeschriebenen Sinne neigen die Instanzgerichte – wie der BGH jetzt einmal wieder aufgezeigt hat – zu einem zu engen Verständnis, das dahin geht, zulässigen Vortrag allein auf die Stellungnahme zur Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit des fraglichen Vorbringens zu beeschränken.

Der BGH hat klargestellt, dass das Recht zur Stellungnahme nicht unerheblich weiter geht:

So ist auch gänzlich neues Vorbringen zuzulassen, wenn und soweit es „als Reaktion auf das verspätete Vorbringen des Gegners erfolgt“.

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Der BGH hat ausgeführt (vgl. Beschluss vom 27.2.2018, Rn. 24):

§ 283 ZPO soll es einer Partei, die auf ein Vorbringen des Gegners nicht mehr rechtzeitig reagieren kann, ermöglichen, sich innerhalb einer bestimmten Frist hierzu zu erklären, es also – gegebenenfalls auch durch substanziierte Gegenbehauptungen – zu bestreiten, zuzugestehen oder ihm schließlich durch ein selbstständiges – gegebenenfalls auf neue tatsächliche Behauptungen gestütztes – Angriffs- oder Verteidigungsmittel entgegenzutreten.

Dies bedeutet:

Selbst gänzlich (!) neue Behauptungen können zuzulassen sein, wenn diese als „Reaktion“ auf das späte Vorbringen des Gegners zu würdigen sind.

Wenn das erstinstanzliche Gericht dies verkennt, und die fraglichen Behauptungen in seinem Urteil unter Berufung auf § 296a ZPO unberücksichtigt lässt, so handelt es sich um in der Berufungsinstanz nicht „neuen“ Vortrag, der ohne weiteres vom Berufungsgericht zu würdigen ist.

Aus diesem Urteil ist zu lernen, dass auch Obergerichte prozessuale Regeln immer wieder falsch anwenden. Also: Aufpassen!

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