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Kurz-Überblick: Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile („HAVÜ“)

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Kurz-Überblick: Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile

Zum 1. September 2023 ist EU-weit das Haager Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- oder Handelssachen („HAVÜ“) in Kraft getreten.

Überblick HAZÜ

Die Ukraine hatte das Übereinkommen im August 2022 ratifiziert. In Folge dieser Ratifikation und des vorausgegangenen Beitritts der Europäischen Union war die erforderliche Anzahl von Mitgliedsstaaten erreicht, und das Übereinkommen konnte ein Jahr später in Kraft treten.

Im EU-Raum (ausgenommen Dänemark) ergänzt das HAVÜ künftig die EUGVVO, das Luganer Übereinkommen sowie das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen.

Neben der EU und der Ukraine haben noch fünf weitere Staaten (Costa Rica, Israel, Russland, USA und Uruguay)  das HAVÜ unterzeichnet, aber bislang nicht ratifiziert. Die praktische Bedeutung ist somit noch auf das Verhältnis zur Ukraine beschränkt, denn unter den EU-Mitgliedstaaten hat insbesondere die EUGVVO Vorrang.

Das HAVÜ sieht vor, dass Urteile eines Vertragsstaates, die dort wirksam und vollstreckbar sind, in den anderen Vertragsstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken sind. Voraussetzung ist, dass das ausländische Gericht seine internationale Zuständigkeit auf einen in Art. 5 HAVÜ genannten Grund stützt.

Art. 7 Abs. 1 HAVÜ definiert sechs Fallkonstellationen, in denen die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden können. Es handelt sich dabei um folgende, auch in der EUGVVO enthaltene Fälle:

  • Mangelhaft Zustellung
  • Betrügerische Erlangung des Urteilstitels
  • Verstoß gegen den odre public
  • Verstoß gegen Gerichtsstandsvereinbarung
  • Entgegenstehendes Urteil im ersuchten Staat
  • Entgegenstehende ältere Entscheidung
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Fazit zum HAZÜ

Innereuropäisch hat das HAZÜ wegen des Vorrangs der EUGVVO vorläufig keine Bedeutung. Über die EU-Grenzen hinaus zielt das HAZÜ vor allem auf den überaus wichtigen Wirtschaftspartner USA, der das HAZÜ aber bislang nicht ratifiziert hat. Entsprechend kommt dem HAZÜ vorläufig nur eine sehr begrenzte Bedeutung zu. Lesen Sie ergänzend auch meinen ausführlichen Beitrag zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile ind Deutschland.

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Durchsetzung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen: Was tun bei einer Klage aus dem Ausland trotz entgegenstehender ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarung?

Um kostspielige und unangenehme Rechtsstreitigkeiten im Ausland zu verhindern, ist es ratsam, mit ausländischen Geschäftspartnern ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen abzuschließen, die ausschließlich deutsche Gerichte als zuständig festlegen. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass der Geschäftspartner im Streitfall, entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung, Klage in seinem eigenen Land einreicht. In solchen Fällen stellt sich die Frage: Was kann man zur Durchsetzung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen tun?

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Anerkennung und Vollstreckung von EU-Urteilen in Deutschland

Mit der Internationalisierung des Geschäftsverkehrs geht einher, dass der Frage, ob und wie ein im Heimatland des Gläubigers ergangenes Urteil im hiervon abweichenden Heimatstaat des Schuldners vollstreckt werden kann, eine hohe praktische Bedeutung zukommt. Denn die leidliche Erfahrung auch des Verfassers dieses Beitrags zeigt, dass viele Schuldner zur freiwilligen Leistung nicht bereit sind.

Nachfolgender Beitrag verschafft einen Überblick, wie ein in der EU in Zivil- und/oder Handelssachen erlassenes Urteil in anderen EU-Mitgliedstaaten – hier am Beispiel Deutschland – vollstreckt werden kann.

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Durchsetzung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen: Was tun bei einer Klage aus dem Ausland trotz entgegenstehender ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarung?

Problembeschreibung

Um kostspielige und unangenehme Rechtsstreitigkeiten im Ausland zu verhindern, ist es ratsam, mit ausländischen Geschäftspartnern ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen abzuschließen, die ausschließlich deutsche Gerichte als zuständig festlegen. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass der Geschäftspartner im Streitfall, entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung, Klage in seinem eigenen Land einreicht. In solchen Fällen stellt sich die Frage: Was kann man zur Durchsetzung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen tun?

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Verfahren zur Durchsetzung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen: Artikel 31 Abs. 2 EUGVVO

Eine wenig bekannte, im europäischen Raum geltende Regelung zur Lösung dieses Problems ist in der Europäischen Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, kurz: EUGVVO, enthalten. Artikel 31 Absatz 2 der EUGVVO besagt:

„Wird ein Gericht eines Mitgliedstaats angerufen, das gemäß einer Vereinbarung nach Artikel 25 ausschließlich zuständig ist, so setzt das Gericht des anderen Mitgliedstaats unbeschadet des Artikels 26 das Verfahren so lange aus, bis das auf der Grundlage der Vereinbarung angerufene Gericht erklärt hat, dass es gemäß der Vereinbarung nicht zuständig ist.“

Diese Regelung, die 2015 zum Schutz ausschließlicher Gerichtsstände geschaffen wurde, erweist sich in der beschriebenen Situation als äußerst hilfreich. Der Vertragspartner, der mit einer ausländischen Klage konfrontiert ist, kann vor seinem Heimatgericht feststellen lassen, dass nur dieses Gericht zuständig ist. Gleichzeitig kann er diese Klage nutzen, um den Streitfall vor dem zuständigen deutschen Gericht klären zu lassen, insbesondere bei Zahlungsklagen, gegebenenfalls durch eine negative Feststellungsklage (weitere Informationen dazu finden Sie in meinem separaten Beitrag).

Das ausländische Gericht, das gemäß nach Artikel 31 Abs. 2 EUGVVO über diese Klage zu informieren ist, hat dann umgehend das eigene Verfahren von Amts wegen auszusetzen. Damit wäre die lästige ausländische Klage zunächst einmal gestoppt.

Sobald das deutsche Gericht seine ausschließliche Zuständigkeit festgestellt hat, muss sich in der Folge das ausländische Gericht für unzuständig erklären. Damit wäre der unangenehme Auslandsrechtsstreit beigelegt.

Fazit

Im Detail gibt es zu dem beschriebenen Verfahren zur Durchsetzung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen noch viele Fragen zu klären, insbesondere da die Vorschrift relativ neu ist und nur wenige gerichtliche Entscheidungen dazu vorliegen. Wer also den Weg des Artikel 31 Absatz 2 EUGVVO beschreiten möchte, betritt in weiten Teilen Neuland. Es könnte sich als lohnenswert erweisen. Lesen Sie zu den Handlungsmöglichkeiten im Falle einer ausländischen Klage auch meinen Beitrag „Klage aus dem Ausland

Übrigens:

Wussten Sie schon, dass der Bundesgerichtshof (BGH) Verstöße gegen Gerichtsstandsvereinbarungen als Pflichtverletzung ansieht? Dies führt dazu, dass dem Geschädigten ein wertvoller Schadensersatzanspruch entsteht! Weitere Informationen dazu finden Sie in meinem bald veröffentlichten Beitrag.

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Um kostspielige und unangenehme Rechtsstreitigkeiten im Ausland zu verhindern, ist es ratsam, mit ausländischen Geschäftspartnern ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen abzuschließen, die ausschließlich deutsche Gerichte als zuständig festlegen. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass der Geschäftspartner im Streitfall, entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung, Klage in seinem eigenen Land einreicht. In solchen Fällen stellt sich die Frage: Was kann man zur Durchsetzung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen tun?

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Anerkennung und Vollstreckung von EU-Urteilen in Deutschland

Mit der Internationalisierung des Geschäftsverkehrs geht einher, dass der Frage, ob und wie ein im Heimatland des Gläubigers ergangenes Urteil im hiervon abweichenden Heimatstaat des Schuldners vollstreckt werden kann, eine hohe praktische Bedeutung zukommt. Denn die leidliche Erfahrung auch des Verfassers dieses Beitrags zeigt, dass viele Schuldner zur freiwilligen Leistung nicht bereit sind.

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Anerkennung und Vollstreckung von EU-Urteilen in Deutschland

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Anerkennung und Vollstreckung von EU-Urteilen in Deutschland – Ein Leitfaden

Einführung

Mit der Internationalisierung des Geschäftsverkehrs geht einher, dass der Frage, ob und wie ein im Heimatland des Gläubigers ergangenes Urteil im hiervon abweichenden Heimatstaat des Schuldners vollstreckt werden kann, eine hohe praktische Bedeutung zukommt. Denn die leidliche Erfahrung auch des Verfassers dieses Beitrags zeigt, dass viele Schuldner zur freiwilligen Leistung nicht bereit sind.

Nachfolgender Beitrag verschafft einen Überblick, wie ein in der EU in Zivil- und/oder Handelssachen erlassenes Urteil in anderen EU-Mitgliedstaaten – hier am Beispiel Deutschland – vollstreckt werden kann.

Europe

Grundlage: EU-Verordnung 1215/2012 (EUGVVO)

Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen im Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der EU ist in Zivil- und/oder Handelssachen in der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geregelt (bekannt als: „EUGVVO“).

Automatische Anerkennung von in anderen EU-Mitgliedstaaten erlassenen Urteilen nach Artikel 36 EuGVVO

Nach den Artikel 36 Abs. 1 der EuGVVO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen auch in anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.  Artikel 36 Abs. 1 der EUGVVO lautet:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.“

Mögliche Einwände und Prüfung nach Artikel 45 EuGVVO

Allerdings erfolgt auf Antrag der Gegenpartei im Rahmen der Grenzen des Artikel 45 EuGVVO dennoch eine Prüfung bestimmter Anerkennungsvoraussetzungen.

Artikel 45 Abs. 1 EuGVVO lautet:

„Die Anerkennung einer Entscheidung wird auf Antrag eines Berechtigten versagt, wenn

 

  1. a) die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde;

  2. b) dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleich wertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte;

  3. c) die Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist;

  4. d) die Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung im ersuchten Mitgliedstaat erfüllt, oder

  5. e) die Entscheidung unvereinbar ist

  6. i) mit Kapitel II Abschnitte 3, 4 oder 5, sofern der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist, oder

  7. ii) mit Kapitel II Abschnitt 6.“

Demnach darf insbesondere die internationale Entscheidungszuständigkeit nicht überprüft werden. Dies stellt Artikel 45 Abs. 3 S. 1 der EuGVVO klar, wonach die Vorschriften über die Zuständigkeit nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) gehören.

Ziel ist es, dass Entscheidungen eines Mitgliedstaates mit möglichst wenig zusätzlichem Aufwand in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden können.

Die wie gesagt nur auf Antrag erfolgende Prüfung der genannten Anerkennungsvoraussetzungen ist Teil des Vollstreckungsverfahrens (dazu sogleich).

Vollstreckung ohne vorherige Vollstreckbarkeitserklärung

Die bedeutsamste, mit der Neufassung der EuGVVO geschaffene Neuerung im Rechtsverkehr innerhalb der EU ist die Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens.

So ist eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung nach Artikel 39 EuGVVO in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, ohne dass es einer gesonderten Vollstreckbarerklärung bedarf. Ausländische EU-Entscheidungen werden im Hinblick auf ihre Vollstreckung damit im Grundsatz inländischen Entscheidungen gleichgestellt (Art. 41 Abs. 1 EuGVVO, § 794 Abs. 1 Nr. 9 ZPO).

Die Streichung des sog. Exequaturverfahrens zielt auf eine Beschleunigung der Vollstreckung, indem dem Schuldner die Möglichkeit genommen wird, Rechtsbehelfe in diesem Verfahren zur Verschleppung einzusetzen.

 

Berücksichtigungsfähige Vollstreckungsversagungsgründe

Eine Anerkennung und damit eine Vollstreckung kann in den eng auszulegenden Grenzen des Artikel 46 in Verbindung mit Artikel 45 der EuGVVO versagt werden. Allerdings werden die möglichen Versagungsgründe nur auf Antrag des Schuldners nach den Artikeln 46 ff. der EuGVVO als Einwendung geltend zu machen und werden mithin nicht von Amts wegen geprüft.

Als Versagungsgründe kommen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Artikel 46 der EuGVVO nur die in Artikel 45 der EuGVVO genannten Gründe in Betracht. Darüberhinausgehende materiellrechtliche Einwendungen gegen den Titel bleiben nach zutreffender Auffassung außer Betracht.

Zu den möglichen Versagungsgründen im groben Überblick das Folgende:

„Offensichtlicher“ Verstoß gegen Ordre Public, Artikel 45 Abs. 1 a EUGVVO

Artikel 45 Abs. 1 a) der EUGVVO setzt einen „offensichtlichen“ Verstoß gegen den ordre public voraus.

Wie auch bei „normalen“ Drittlandsurteilen, ist dem ersuchten Gericht eine allgemeine Überprüfung des Urteils untersagt (Verbot der sog. révision au fond). Es spielt also für die Anerkennungsfähigkeit insbesondere keine Rolle, ob das Urteil Ergebnis eines ordnungsgemäßen Verfahrens gewesen ergangen ist, und ob das Ursprungsgericht die Tatsachen zutreffend ermittelt und gewürdigt hat.

Es geht bei einem beachtlichen „offensichtlichen“ ordre public Verstoß lediglich um krasse und daher sehr seltene Fälle, in denen aus Sicht des ersuchten Staates eine Anerkennung als geradezu unerträglich erschiene.

Die Grenzen, die hierbei anzulegen sind, ergeben sich grundsätzlich aus dem anerkennungsfreundlichen Europarecht, obwohl der ordre public von Staat zu Staat unterschiedlich ist.

Beachte:

Ausdrücklich (vgl. Art. 45 Abs. 3 S. 2 EuGVVO) nicht unter den ordere public fallen die Vorschriften über die Zuständigkeit. Dies bedeutet, dass selbst ein von einem unzuständigen Gericht erlassenes EU-Urteil in Deutschland vollstreckt werden kann, ohne dass dagegen die mangelnde Zuständigkeit eingewendet werden könnte. Besondere Abwehrmöglichkeiten existierten im Falle einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung gemäß der wenig bekannten Regelung in Artikel Art 31 Abs. 2 EUGVVO. Lesen Sie hierzu meinen gesonderten Beitrag.

Nicht ordnungsgemäße Verfahrenseinleitung, Artikel 45 Abs. 1 b) EUGVVO

Nicht jeder Fehler in der Verfahrenseinleitung begründet ein Anerkennungshindernis.

So führt das Fehlen einer an sich erforderlichen Übersetzung nicht ohne weiteres zur Versagung der Anerkennung. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn der Beklagte im Ausgangsverfahren mit einem dort eingelegten Rechtsmittel geltend gemacht hat bzw. geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht in der gehörigen Form zugeleitet worden war.

Als Faustformel lässt sich festhalten, dass das maßgebliche Kriterium in der Frage liegt, ob dem Beklagten des Erstverfahrens rechtliches Gehör möglich gewesen ist. Im Detail ist zu dieser Frage vieles streitig und bedarf einer Würdigung in jedem Einzelfall.

Unvereinbarkeit mit anderer Entscheidung, Artikel 45 Abs. 1 c) und d) EUGVVO

Artikel 45 Abs. 1 c) und d) der EUGVVO betreffen Fälle, in denen die in Rede stehende Entscheidung mit einer anderen inländischen (lit c) oder mit einer ausländischen, also einer Entscheidung, die entweder in einem anderen als dem „ersuchten“ Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat ergangen ist, unvereinbar ist. Unvereinbar meint, dass die in den Urteilen festgestellten Rechtsfolgen einander ausschließen.

Soweit die vorbeschriebene Konfliktlage gegeben ist, hat eine im ersuchten Staat ergangene Entscheidung stets Vorrang, selbst dann, wenn sie später ergangen ist. Dies kann zur Folge haben, dass eine ausländische Entscheidung vorübergehend Wirkung entfaltet und diese Wirkung dann später ex nunc infolge einer entgegenstehenden inländischen Entscheidung entfällt.

Handelt es sich um eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedsstaat oder einem Drittland, so wird die Konfliktlage über das Prioritätsprinzip aufgelöst. Soweit das Urteil aus dem anderen Mitgliedsstaat oder dem Drittland früher ergangen ist, hat es Vorrang.

Missachtung von Sonderzuständigkeiten, Artikel 45 Abs. 1 e) EUGVVO

Artikel 45 Abs. 1 e) der EUGVVO behandelt schließlich den Verstoß gegen besondere Zuständigkeitsregelungen der EUGVVO, z.B. im Falle von Versicherungssachen und bei Verbraucherangelegenheiten.

Verfahrensablauf

Durch die Abschaffung eines Exequaturverfahrens erfolgt die Prüfung von Vollstreckungsversagungsgründen erst im Vollstreckungsverfahren, Art. 46 ff. EuGVVO.

Das Verfahren setzt einen Antrag des für das Vorliegen von Versagungsgründen auch darlegungs- und beweisbelasteten Schuldners voraus (Art. 46 EuGVVO), der bei den von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 75 lit. a EuGVVO mitgeteilten Gerichten zu stellen ist. In Deutschland sind dies gemäß § 1115 Abs. 1 ZPO ausschließlich die Landgerichte.

Soweit ein Gericht – dies nur auf Antrag – in einem Vollstreckungsverfahren eine Vollstreckung ablehnt, weil nach Auffassung dieses Gerichts ein Grund zur Versagung der Anerkennung vorliegt, so handelt es sich hierbei um eine Inzidententscheidung und hat nur Wirkung für das jeweilige Verfahren. Es ist also möglich, dass ein anderes Gericht des ersuchten Mitgliedsstaates hinsichtlich des identischen Urteils eine andere Auffassung vertritt, was widersprüchliche Entscheidungen innerhalb eines Mitgliedstaates bedeuten würde.

Da dies unbefriedigend wäre, sieht die EUGVVO den Antrag nach Artikel 36 Abs. 2 vor:

„Jeder Berechtigte kann gemäß dem Verfahren nach Abschnitt 3 Unterabschnitt 2 die Feststellung beantragen, dass keiner der in Artikel 45 genannten Gründe für eine Versagung der Anerkennung gegeben ist.“

Ist vom ersuchten Gericht auf Antrag nach Artikel 36 Abs. 2 EUGVVO festgestellt worden, dass der fraglichen Entscheidung kein Anerkennungshindernis entgegensteht, so ist diese Entscheidung im ersuchten Staat und zwischen den Verfahrensbeteiligten rechtskräftig und kann inter partes nicht mehr in Frage gestellt werden. Dies folgt unmittelbar aus dem Unionsrecht, auch wenn die Verordnung selbst hierzu keine Aussage enthält. Gleiches gilt umgekehrt, wenn das Gericht infolge eines solchen Antrags festgestellt hat, dass ein Versagungsgrund vorliegt, Artikel 45 Abs. 4 EUGVVO.

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FAZIT

Anders als bei Urteilen aus Drittstaaten sind die Abwehrmöglichkeiten gegenüber Urteilen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten leider gering. Dennoch lohnt es sich selbstverständlich, die dargestellten möglichen Einwendungen genau zu prüfen, um so eventuell einer Vollstreckung entgehen zu können.

 

 

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Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

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Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

We would like to inform you whether and how a foreign judgment given outside the EU can be enforced in Germany.

Description of the problem

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

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Starting point: Necessity of a Recognition Procedure under Section 722 (1) of the Code of Civil Procedure (Zivilprozessordnung/ZPO).

Unless special agreements under international law provide otherwise, a foreign judgment is initially of no value in Germany. Rather, only a successfully obtained enforcement judgment (cf. section 723 ZPO) leads to the enforceability of the foreign judgment in Germany as well.

A foreign creditor wishing to enforce a foreign judgment against a German debtor in Germany must therefore first apply to the competent German court for the foreign judgment to be declared enforceable. This is standardised in Section 722(1) of the German Code of Civil Procedure (ZPO):

“(1) Compulsory enforcement may be pursued under the judgment of a foreign court if such compulsory enforcement is ruled admissible by a judgment for enforcement.“

The object of this enforcement procedure under Section 722(1) of the ZPO is no longer the facts of the case already decided by the foreign court, but only the examination of whether the conditions for recognition set out in Section 328 of the ZPO are fulfilled.

If the German court comes to the conclusion that the foreign proceedings meet these requirements and that the decision was therefore formally justified, enforcement of the foreign judgment is also permitted for the territory of the Federal Republic of Germany. Enforcement is then carried out solely on the basis of the German enforcement order, which in fact merely reproduces the decision of the foreign court.

Grounds for refusal to be examined by the German court

As mentioned above, the enforceability of a foreign judgment in Germany requires that it be recognised in Germany. The enforceability of a foreign judgment is reviewed ex officio by the German court in the enforcement proceedings referred to above under Sections 722 and 723 ZPO.

In the absence of a relevant bilateral agreement between Germany and the plaintiff state, the general rules of international law apply to recognisability.  In this general case, recognisability is to be measured against section 328(1) of the ZPO:

“(1) Recognition of a judgment handed down by a foreign court shall be ruled out if:

  1. The courts of the state to which the foreign court belongs do not have jurisdiction according to German law;

  2. The defendant, who has not entered an appearance in the proceedings and who takes recourse to this fact, has not duly been served the document by which the proceedings were initiated, or not in such time to allow him to defend himself;

  3. The judgment is incompatible with a judgment delivered in Germany, or with an earlier judgment handed down abroad that is to be recognised, or if the proceedings on which such judgment is based are incompatible with proceedings that have become pending earlier in Germany;

  4. The recognition of the judgment would lead to a result that is obviously incompatible with essential principles of German law, and in particular if the recognition is not compatible with fundamental rights;

  5. Reciprocity has not been granted.”

Accordingly, recognition of a foreign judgment is to be refused in the following cases:

Lack of jurisdiction of the foreign court

The objection of lack of jurisdiction is always the most obvious argument against recognition. This is because the international principle is that, in case of doubt, an action must be brought at the defendant’s domicile or place of business. Consequently, the jurisdiction of the foreign court for an action against a German defendant would have to be based on a special place of jurisdiction or an effective agreement on jurisdiction.

No proper service / breach of the right to be heard

It is not uncommon to raise the objection that the foreign claim has not been properly served. This presupposes, for example, that the German defendant had sufficient opportunity to defend himself properly against the action. Since case law interprets this requirement very narrowly, this objection is usually only helpful in extreme cases, e.g. if there were only a few days between service on the German defendant and the date of the foreign judgment, which is likely to be rare.

In addition, a translation of the complaint into German is usually required. In most cases, this follows from the Hague Service Convention of 15 November 1965, to which a large majority of countries in addition to Germany have adhered.

Incompatibility with other judgments

The objection that the recognition of the foreign judgment is incompatible with a domestic, German court decision is also very relevant in practice and accordingly significant.

This is particularly relevant in the case of an earlier lis pendens of domestic proceedings with the same subject-matter. „Lis pendens“ is the point in time at which a validly filed claim has been validly received by the defendant. The time of lis pendens abroad is determined by the foreign law. It is irrelevant whether the foreign court was aware of the domestic proceedings.

Please also read my separate article on this constellation „The negative declaratory action to prevent a foreign action“.  

By the way:

The priority of the domestic judgment applies even if the domestic judgment was issued despite the earlier pendency of the foreign proceedings. Domestic judgments therefore always block, even if they should not have been issued at all.

Incompatibility with the so-called ordre public

Finally, the so-called ordre public must be observed. This concerns the compatibility of the foreign judgment in question with the essential principles of German law.

If a foreign judgment is so contrary to the fundamental principles of German law that it would be almost intolerable to declare such a judgment enforceable in Germany, it must be refused recognition.

The above applies above all to violations of fundamental rights (In German: ”Grundrechte”). Other examples of judgments that violate German ordre public are those that are based on procedural fraud or judgments whose subject matter is gambling or betting debts.

Lack of guarantee of so-called reciprocity (In German: “Verbürgung der Gegenseitigkeit”)

A mandatory requirement for recognition is also the so-called „guarantee of reciprocity“ in relation to the sentencing state in question.

„Reciprocity“ means that the recognition and enforcement of a German judgment in the foreign state in question should not encounter significantly greater difficulties than, conversely, the recognition and enforcement of a comparable foreign judgment in Germany. In short: The point is that the „rules of the game“ must be reasonably consistent among themselves. It is unacceptable for Germany to recognise a judgment from a country which, on the other hand, refuses to recognise German judgments or only recognises them under considerably more difficult conditions.

Notice:

The above definition leads to the following problem: The question of so-called reciprocity can only be answered by looking at the actual judicial practice of both countries. This practice is in a constant state of flux, so the question must be examined on a case-by-case basis.

The above-mentioned requirements for the recognition of foreign judgments already have an impact on the German defendant’s decision as to whether he should defend against the foreign action at all.

In principle, the German defendant is free to decide whether to take up the „defence at a distance“ – accepting (perhaps) unnecessary and thereby high costs.

For the German defendant, however, it is important to note that objections to the merits of the claim must generally be raised in the main action, i.e. in the foreign proceedings. However, according to the case law of the German Federal Supreme Court (BGH), this does not apply without exceptions. In particular, it is still possible to raise the defence of procedural fraud in the recognition proceedings. In its judgment of 29.04.1999 (X ZR 263/97), the BGH stated that:

„In proceedings for a declaration of enforceability, supplementary factual submissions by the parties are admissible at any rate to the extent that a violation of section 328 (1) no. 4 of the Code of Civil Procedure is to be inferred from the manner in which the judgment to be recognised was reached. (….)

In contrast, both section 328 (1) no. 2 and no. 4 of the Code of Civil Procedure leave it up to the defendant domiciled in Germany to plead abroad at all. If he takes the risk of being sentenced abroad, he takes on the complication of only being allowed to assert narrowly limited defences in the recognition proceedings. In any case, the plea of fraud is not cut off.“

According to the aforementioned judgment, the German debtor who did not defend himself against the foreign claim could still claim in the subsequent German recognition proceedings that

  • he was never properly served with the claim, and/or
  • the foreign judgment is incompatible with fundamental principles of German law.

Conclusion and Recommendation

The above summaries show that there are various obstacles to the recognition and thus the enforceability of foreign judgments in Germany. It follows that competent advice and, if necessary, representation are indispensable for foreign creditors.

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Ratgeber: Internationales Zivilprozessrecht – Zur Verjährungshemmung durch Klagerhebung nach der EU-Zustellungsverordnung (EUZVO)

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Zur Verjährungshemmung durch Klagerhebung nach der EU-Zustellungsverordnung (EUZVO)

Die EU-Zustellungsverordnung (EUZVO) regelt die Übermittlung gerichtlicher Schriftstücke im EU-Rechtsverkehr und hat auch erhebliche Bedeutung für die Verjährungshemmung. Obwohl die EUZVO nicht neu ist, beschäftigen sich die Gerichte fortlaufend mit Fragen im Zusammenhang mit Auslandszustellungen. Ein wichtiger Aspekt betrifft die Voraussetzungen für eine wirksame Verjährungshemmung durch Klageeinreichung. Wenn Klagen – wie häufig und grundsätzlich zulässig – in letzter Minute beim Gericht eingereicht werden, findet § 167 ZPO Anwendung. Dieser lautet:

„Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.“

„Demnächst“ verlangt vom Kläger, dass er alles Zumutbare getan hat, damit die Zustellung schnellstmöglich erfolgen kann. Als Beispiel ist die Einzahlung des meist verlangten Kostenvorschusses zu nennen, die der Kläger umgehend zu leisten hat.

Die EUZVO hat in diesem Zusammenhang eine Frage aufgeworfen, mit der sich vor nicht langer Zeit der BGH in seinem Urteil vom 25.02.2021 (Az. IX ZR 156/19) beschäftigt hat. Die Vorinstanz, das OLG Frankfurt, hatte zuvor nach Auffassung des Verfassers ein klares Fehlurteil getroffen, das der BGH in einem aufschlussreichen Urteil zu diversen Fragen der EUZVO korrigiert hat.

Problembeschreibung

Es geht um Folgendes:

Die EUZVO sieht im Hinblick auf die Beifügung der Übersetzung der Klage für den Kläger Wahlmöglichkeiten vor (vgl. Artikel 8 Abs. 1 bis 3 der EUZVO).

So hat der Kläger die Wahl, ob er der Klage von vornherein eine Übersetzung in die Sprache des Beklagten beifügt oder nicht. Der Empfänger kann dann den Empfang der Klage durch Rücksendung  verweigern, wenn er die Sprache des Klägers nicht versteht. War die Verweigerung der Annahme berechtigt, muss die Zustellung mit Übersetzung nachgeholt werden. Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger dazu entschieden, von vornherein eine Übersetzung beizufügen. Bis zu Zustellung mit Übersetzung verging hierbei ein sehr erheblicher Zeitraum. Dies hat – klar zu Unrecht! – das OLG Frankfurt dem Kläger angelastet, der ja die Möglichkeit gehabt hätte, die Klage zunächst ohne Übersetzung und damit zügiger  an den Beklagten zu übermitteln.

Das BGH-Urteil

Der Auffassung des OLG Frankfurt hinsichtlich der wirksamen Verjährungshemmung nach der EUZVO hat der BGH überzeugend eine klare Absage erteilt.

Der BGH hat zunächst unter anderem die folgenden allgemeinen Feststellungen im Hinblick auf die EU-Auslandszustellung von Klagen sowie die Frage der Verjährungshemmung nach der EUZVO getroffen:

(…)

Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden, tritt diese Wirkung nach § 167 ZPO bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

(…)

Zwar ist die Klage erst am 9. Dezember 2016 und damit mehr als elf Monate nach Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt worden. Das ist jedoch unschädlich, weil die Zustellung „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist.

(…)

Dabei darf nicht auf eine rein zeitliche Betrachtungsweise abgestellt werden. Vielmehr sollen, weil die Zustellung von Amts wegen geschieht, die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebes bewahrt werden, denn diese Verzögerungen können von ihnen nicht beeinflusst werden. Es gibt deshalb keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als „demnächst“ anzusehen ist. Dies gilt auch dann, wenn es zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Denn Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, muss sich die Partei, der die Fristwahrung obliegt, grundsätzlich nicht zurechnen lassen.

(…)

Der Partei sind jedoch solche nicht nur geringfügigen Verzögerungen zurechenbar, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter (§ 85 Abs. 2 ZPO) bei gewissenhafter Prozessführung hätten vermeiden können (BGH, Urteil vom 12. September 2019, aaO). Verzögerungen sind mithin dann zurechenbar, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges – auch leicht fahrlässiges – Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen haben.

(…)

Gemessen hieran liegt eine durch den Kläger verschuldete Verzögerung der Zustellung nicht vor.

(…)

Gemäß Art. 5 Abs. 1 EuZVO hat die Übermittlungsstelle den Zustellungsveranlasser („Antragsteller“) auf die Gefahr einer etwaigen Verweigerung der Annahme durch den Empfänger eines nicht in einer der in Art. 8 EuZVO genannten Sprachen abgefassten oder übersetzten (Art. 8 Abs. 1 EuZVO) Schriftstücks hinzuweisen. Gleichwohl obliegt dem Antragsteller die Entscheidung, ob eine Übersetzung des betreffenden Schriftstücks erforderlich ist, deren Kosten er nach Art. 5 Abs. 2 EuZVO zu tragen hat (EuGH, Urteil vom 16. September 2015 – C-519/13, Alpha Bank Cyprus, RIW 2015, 748 Rn. 35). Er hat insoweit das Wahlrecht.

(…)

Entscheidet sich der Zustellungsveranlasser für eine Zustellung ohne Übersetzung, werden die Rechte des Empfängers gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO dadurch geschützt, dass dieser die Annahme verweigern kann, wenn die Schriftstücke in einer Sprache verfasst sind, die er nicht versteht und die nicht die Amtssprache des Empfangsstaats ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 – VII ZR 164/05, NJW 2007, 775 Rn. 16). Darüber wird der Empfänger in dem Formblatt gemäß Anhang II der EuZVO belehrt, das ihm mit der Zustellung ausgehändigt werden muss.

(…)

Als Zwischen-Fazit lässt sich zu den Anforderungen an eine Verjährungshemmung nach der EUZVO festhalten, dass

  • das Erfordernis der „Demnächst“-Zustellung vom Kläger verlangt, dass er seinen Beitrag zu einer unverzögerten Zustellung leistet. Rein gerichtliche Versäumnisse sind irrelevant.
  • die EUZVO dem Kläger bei der EU-Auslandszustellung Wahlmöglichkeiten einräumt, die Einfluss auf die (erstmalige, ggf. nicht übersetzte) Zustellung haben.

Zu der Frage, ob der Kläger zur Wahrung des „Demnächst“-Erfordernisses in seinen Wahlmöglichkeiten eingeschränkt sein könnte (so das OLG Frankfurt), hat dann der BGH folgende zutreffende Ausführungen getroffen:

(…)

Dem Zustellungsveranlasser sind Verzögerungen, welche sich aus der von ihm getroffenen Wahl der Zustellung nach Art. 5 und Art. 8 EuZVO ergeben, nicht anzulasten. Allerdings ist diese Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt und in der Literatur umstritten.

In der Literatur wird einerseits die Auffassung vertreten, der Antragsteller dürfe im Rahmen des § 167 ZPO jedenfalls keine der in der EuZVO geregelten Zustellungsvarianten auswählen, die zu einer nicht nur geringfügigen Verzögerung führe; es bestehe vielmehr die Obliegenheit, die Möglichkeiten der beschleunigten Zustellung in dem Umfang wahrzunehmen, wie sie von der EuZVO eröffnet seien (vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 17. Aufl., Art. 8 EuZVO Rn. 1; Nagel/Gottwald/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl., § 8 Rn. 8.67; Hüßtege/Mansel/Brand, Rom-Verordnungen, 3. Aufl., Das anwaltliche Mandat im internationalen Schuldrecht, Rn. 45; Kern/Diehm/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 167 Rn. 10; BeckOK-ZPO/Dörndorfer, 2020, § 167 Rn. 4; Kuntze-Kaufhold/Beichel-Benedetti, NJW 2003, 1998, 1999; Grootens, MDR 2019, 1046, 1047). Andererseits soll eine gesetzlich – wie hier durch die EuZVO – eröffnete Wahlfreiheit die Obliegenheiten des § 167 ZPO nicht verschärfen können (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 167 Rn. 15; Niehoff, IWRZ 2019, 232; Hess, IPRax 2020, 127, 128).

Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Es stellt keine nachlässige Prozessführung dar, eine von der EuZVO eröffnete Art der Zustellung in Anspruch zu nehmen, auch wenn sich hierdurch die Zustellung im Vergleich zu anderen Möglichkeiten möglicherweise verzögert. Es besteht weder eine Verpflichtung noch eine Obliegenheit des Zustellungsbetreibers, die Klage ohne Übersetzung zustellen zu lassen.

(…)

Das nationale Gericht müsse in jedem Einzelfall für einen ausgewogenen Schutz der jeweiligen Rechte der betroffenen Parteien Sorge tragen, indem es das Ziel der Wirksamkeit und Schnelligkeit der Zustellung im Interesse des Antragstellers und das Ziel eines effektiven Schutzes der Verteidigungsrechte des Empfängers gegeneinander abwäge (EuGH, Urteil vom 8. November 2005 – C-443/03, Leffler, Slg. 2005, I-09611 Rn. 68; Beschluss vom 28. April 2016 – C-384/14, Alta Realitat S.L, juris Rn. 58).

Hiermit ist die – auch von dem Berufungsgericht aufgegriffene – Argumentation, die Zustellung ohne Übersetzung sei für den Antragsteller im Hinblick auf Art. 8 Abs. 3 Satz 3 EuZVO „nicht gefährlich“ (vgl. Fabig/Windau, NJW 2017, 2502, 2503; Grootens, MDR 2019, 1046, 1047), nicht vereinbar. In diesem Lichte kann der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden, zum Zwecke der Fristwahrung einen Zustellungsversuch ohne Übersetzung zu unternehmen. Die Annahme einer solchen Obliegenheit würde diese Art der Zustellung zum Regelfall machen (vgl. Hess, IPRax 2020, 127). Das würde jedoch weder die Interessen des Empfängers noch diejenigen des Antragstellers hinreichend berücksichtigen.

Zum einen entspricht es nicht der Zielrichtung der EuZVO, dass der Antragsteller sein Wahlrecht stets ohne Rücksicht auf die Sprachkenntnisse des Empfängers ausübt.

(…)

Zum anderen berücksichtigt die Annahme einer Obliegenheit, zunächst einen Zustellungsversuch ohne Übersetzung zu unternehmen, auch nicht die berechtigten Interessen des Antragstellers. Er wäre gehalten, das Risiko einer berechtigten Annahmeverweigerung des Empfängers nach Art. 8 Abs. 1 EuZVO auch dann einzugehen, wenn er sicher weiß, dass der Empfänger sprachunkundig ist. Macht der Empfänger tatsächlich von seinem Annahmeverweigerungsrecht Gebrauch, ist dies für den Antragsteller in mehrfacher Hinsicht mit Nachteilen behaftet, die sich ihrerseits aus Art. 8 Abs. 1, Abs. 3 EuZVO ergeben. Es muss eine neue Zustellung vorgenommen werden, die für die vom Antragsteller zu wahrenden Fristen grundsätzlich ex nunc wirkt (vgl. Eichel, IPRax 2017, 352, 353 mwN). Den Antragsteller trifft im Hinblick auf Art. 8 Abs. 3 Satz 3 EuZVO nunmehr ein zusätzliches Verjährungsrisiko, weil er mit der erneuten Zustellung nicht beliebig zuwarten kann und ungeklärt ist, welcher Zeitraum ihm hierfür zur Verfügung steht (vgl. Rn. 26).

Darüber hinaus tritt als Folge der Annahmeverweigerung eine Verfahrensverzögerung ein. Diese resultiert nicht nur aus der Notwendigkeit, dass nun doch eine Übersetzung angefertigt werden und die Zustellung wiederholt werden muss. Vielmehr tritt der Zeitverlust auch dadurch ein, dass Art. 8 Abs. 3 Satz 3 EuZVO die Rückwirkung auf das „Verhältnis zum Antragsteller“ beschränkt. Denn die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks darf nicht zum Lauf von Verteidigungsfristen zu Lasten des Empfängers führen, solange dieser den Inhalt des Schriftstücks nicht verstehen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 8. November 2005 – C-443/03, Leffler, Slg. 2005, I-09611 Rn. 67 f; s. auch Eichel, IPRax 2017, 352, 353). Daher beginnt der Lauf der Klageerwiderungsfrist gemäß Art. 8 Abs. 3 Satz 2 EuZVO erst mit Zustellung der Übersetzung (vgl. Rauscher/Heiderhoff, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl., Bd. 2, A.II.1, Art. 8 Rn. 24).

Eine Einengung des in Art. 5 Abs. 1 EuZVO vorausgesetzten Wahlrechts würde letztlich auch bedeuten, den Zustellungsbetreiber daran zu hindern, den sichersten Weg zu beschreiten. Selbst wenn er positive Kenntnis von den Sprachfertigkeiten des Empfängers hat und eine Übersetzung danach entbehrlich wäre, besteht die Gefahr, dass der Empfänger die Annahme (unberechtigt) verweigert. Ein Streit über die Berechtigung der Annahmeverweigerung (vgl. hierzu Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl., Art. 8 EuZVO Rn. 9 ff) kann den Verfahrensgang erheblich verzögern. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht zumutbar, dem Antragsteller im Rahmen des § 167 ZPO eine Vorgehensweise abzuverlangen, die für ihn mit prozessualen Nachteilen verbunden sein kann.

(…)

Als weiteres Zwischen-Fazit ist damit festzuhalten, dass nach den zutreffenden Ausführungen des BGH zu den Anforderungen an eine wirksame Verjährungshemmung nach der EUZVO

  • der Kläger nach der EUZVO mit Grund die Wahl hat, ob er mit oder ohne Übersetzung zustellen lassen will,
  • die Zustellung mit Übersetzung für den Kläger der sicherste Weg ist,
  • die mit Blick auf die Verjährung obligatorische Zustellung ohne Übersetzung für den Kläger ihm nicht zumutbare Risiken mit sich brächte, und
  • die Zustellung zunächst ohne Übersetzung am Ende zu einer deutlich verzögerten Zustellung führen kann.

Schließlich hat der BGH „abrundend“ klargestellt, dass der Kläger auch frei in der Entscheidung ist, ob er die Übersetzung selbst oder über das Gericht anfertigen lässt. Dazu der BGH:

(…)

Es stellt auch keine nachlässige Prozessführung dar, die Übersetzung nicht selbst beizubringen, sondern durch das Gericht in Auftrag geben zu lassen.

Im Ausgangspunkt darf ein Kläger zwar einerseits mit der Klageeinreichung bis zum letzten Tag vor Ablauf der Verjährungsfrist zuwarten, ohne dass ihm dies als Verschulden angerechnet wird (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 1983 – III ZR 140/81, VersR 1983, 661, 663; vom 18. Mai 1995 – VII ZR 191/94, NJW 1995, 2230, 2231). Er hat dann andererseits aber alles Zumutbare zu unternehmen, um die Voraussetzungen für eine alsbaldige Zustellung zu schaffen (BGH, Beschluss vom 29. März 2018 – III ZB 135/17, NJW-RR 2018, 763 Rn. 16; Urteil vom 10. Dezember 2019 – II ZR 281/18, WM 2020, 276 Rn. 8; jeweils mwN). Hierbei liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Verantwortungsbereich eines Klägers, alle für eine ordnungsgemäße Klagezustellung von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen zu erbringen; hat der Kläger diese Mitwirkungshandlungen erbracht, liegt die weitere Verantwortung für den ordnungsgemäßen Gang des Zustellungsverfahrens ausschließlich in den Händen des Gerichts, dessen Geschäftsgang ein Kläger und sein Prozessbevollmächtigter nicht unmittelbar beeinflussen können (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – IV ZR 23/05, BGHZ 168, 306 Rn. 20; vgl. auch BAG, Urteil vom 23. August 2012 – 8 AZR 394/11, BAGE 143, 50 Rn. 31 f). Für eine Verpflichtung oder Obliegenheit des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten, auch noch in diesem Stadium des Verfahrens durch eine Kontrolle des gerichtlichen Vorgehens auf eine größtmögliche Beschleunigung hinzuwirken, fehlt die rechtliche Grundlage. Sie ergibt sich nicht aus dem Prozessrechtsverhältnis, weil der Kläger seinerseits bereits alles getan hat, was die Zivilprozessordnung für die Klagezustellung von ihm fordert (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006, aaO Rn. 21; vom 1. Oktober 2019 – II ZR 169/18, juris Rn. 10 mwN; vgl. auch BAG, Urteil vom 15. Februar 2012 – 10 AZR 711/10, juris Rn. 48).

(…)“

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Fazit

Den Ausführungen des BGH zur Verjährungshemmung nach der EUZVO ist in jeder Hinsicht zuzustimmen.

Die gegengesetzten Argumente hinken vor allem daran, dass dem Kläger ohne gesetzliche Grundlage Pflichten und Risiken auferlegt werden. Es ist auch kaum ersichtlich, welche schützenswerten Interessen des Beklagten dem entgegenstehen könnten. Der Beklagte, der eine Klage nicht versteht, kann damit nichts anfangen. Die versuchte vermeintlich schnellere Zustellung geht so ins Leere. Und selbst wenn im Einzelfall die nicht übersetzte Klage „auf Verständnis“ stößt, ist der einzige Nutzen des Beklagten, einige, in den meisten Fällen kaum ins  Gewicht fallende Zeit früher von dem gegen ihn gerichteten Anspruch zu erfahren.

Lesen Sie auch meinen Beitrag zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen eienr EU-Auslandszustellung!

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EUGH-Urteil „LKW Walter“

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EUGH-Urteil „LKW Walter“ zu Artikel 8 EUZVO 2007: Frist zur Annahmeverweigerung einer Zustellung aus dem europäischen Ausland und nationale Fristen

Problemstellung

Die im Ausgangspunkt sehr zu begrüßende Möglichkeit, auch im grenzüberscheitenden EU-Geschäftsverkehr eigene Rechte möglichst einfach und schnell durchsetzen zu können, birgt einige Tücken. Die Erfahrungen des Verfassers zeigen, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Falle des Eingangs rechtlich relevanter Post aus dem Ausland oftmals überfordert sind. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die aus dem Ausland eingehenden gerichtlichen Schriftstücke nicht selten den europarechtlichen Anforderungen nicht entsprechen. So sieht Art. 8 der Europäische Zustellungsverordnung 2007 (Verordnung Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten; kurz: EUZVO 2007) vor, dass jedem Schriftstück, das Gerichte innerhalb der EU zustellen wollen, ein im Anhang der Verordnung vorgegebenes Formblatt beizufügen ist, aus dem sich die wichtigen Rechte des Empfängers ergeben. Ohne dieses Formblatt ist die Zustellung unwirksam, Fristen beginnen nicht zu laufen. Weiterhin sieht Art. 8 der EUZVO vor, dass dem Empfänger das Recht zu steht, die Annahme zu verweigern oder das Schriftstück binnen einer Woche zurückzusenden, wenn er es nicht verstehen kann. Dieser Fall ist sehr praxisrelevant, weil es eher Regel als Ausnahme ist, dass die Schriftstücke ohne Übersetzung in die Sprache des Empfängers auf den Weg gebracht werden.

Mit letzterem Schutzrecht des Empfängers – der einwöchigen Überlegungsfrist – hat sich jüngst der EUGH in seinem Urteil vom 7.7.2022 (C-7/21; „LKW Walter“) mit Blick auf die bedeutsame Frage beschäftigt, wie nationale Rechtsmittelfristen und die Frist zur Annahmeverweigerung (Überlegungsfrist) zusammenspielen.

Diesem Urteil des EUGH kommt große Bedeutung zu, da darin einmal mehr deutlich gemacht wird, dass die europäischen Vorschriften zum Schutz des Empfängers bei grenzüberschreitenden Zustellungen streng auszulegen sind und nationale Vorschriften, die diesen Schutz mindern, rechtswidrig und daher unbeachtlich sind.

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Das EUGH-Urteil „LKW-Walter“

Kurz gefasst lag dem Urteil des EUGH vom 7.7.2022 (C-7/21) der Sachverhalt zugrunde, dass in einer österreichisch-slowenischen Konstellation die slowenischen Gerichte einen aus Österreich erhobenen Einspruch gegen einen slowenischen Zahlungstitel als nicht fristgerecht erachtet hatten. Hierbei hatten die slowenischen Gerichte für den Beginn der Einspruchsfrist den Tag der Zustellung in Österreich zugrunde gelegt und somit die Wochenfrist des Art. 8 EUZVO 2007 bei Berechnung der sehr kurzen 8-tägigen Einspruchsfrist außer Acht gelassen. Gerechnet ab Zustellung war dann auch der durch österreichische Anwälte eingelegte Einspruch verfristet. Durch alle Instanzen hindurch hielten die slowenischen Gerichte an ihrer Berechnungsweise fest. Erst im Rahmen eines Anwaltshaftungsverfahrens kam es zur Vorlage des Falles beim EUGH.

 

Zu der letztlich allein relevanten Vorlagefrage, ob die Wochenfrist des Art. 8 EUZVO 2007 nationale Rechtsmittelfristen hemmt, hat der EUGH insbesondere die folgenden Feststellungen getroffen:

„35 Diese Möglichkeit, die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, stellt ein Recht des Empfängers dieses Schriftstücks dar (Urteil vom 6. September 2018, Catlin Europe, C 21/17, EU:C:2018:675, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Empfänger kann dieses Recht bei der Zustellung des Schriftstücks oder binnen einer Woche ausüben, sofern er das Schriftstück innerhalb dieser Frist zurücksendet.“

„36 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ebenfalls, dass dieses Recht, die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, es ermöglicht, die Verteidigungsrechte des Empfängers dieses Schriftstücks unter Beachtung der in Art. 47 Abs. 2 der Charta verankerten Anforderungen an ein faires Verfahren zu schützen. Denn auch wenn die Verordnung Nr. 1393/2007 in erster Linie darauf abzielt, die Wirksamkeit und die Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren zu verbessern und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, dürfen diese Ziele nicht dadurch erreicht werden, dass in irgendeiner Weise Abstriche bei der effektiven Wahrung der Verteidigungsrechte der Empfänger der betreffenden Schriftstücke gemacht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2018, Catlin Europe, C 21/17, EU:C:2018:675, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).“

„41 Die praktische Wirksamkeit des Rechts, die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, setzt zum einen voraus, dass der Empfänger über das Bestehen dieses Rechts belehrt worden ist, und zum anderen, dass er über die volle Frist von einer Woche verfügt, um zu beurteilen, ob er das Schriftstück annehmen oder seine Annahme verweigern soll, und um es im Fall der Verweigerung zurückzusenden.“

„45 Das mit Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 verfolgte Ziel, jede Diskriminierung zwischen diesen beiden Gruppen von Empfängern zu vermeiden, verlangt aber, dass die Empfänger, die das Schriftstück in einer anderen als der in dieser Bestimmung genannten Sprache erhalten, ihr Recht, die Annahme dieses Schriftstücks zu verweigern, ausüben können, ohne einen verfahrensrechtlichen Nachteil in Anbetracht ihrer grenzüberschreitenden Situation zu erleiden.“

„46  Folglich darf, wenn das zuzustellende Schriftstück nicht in einer der in dieser Bestimmung genannten Sprachen abgefasst oder in eine solche übersetzt ist, die Frist von einer Woche, die in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 vorgesehen ist, nicht gleichzeitig mit der Frist zu laufen beginnen, die für die Einlegung eines Rechtsmittels nach der Regelung desjenigen Mitgliedstaats gilt, zu dem die Behörde gehört, die das Schriftstück ausgestellt hat, da andernfalls die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 47 der Charta beeinträchtigt würde. Die Rechtsmittelfrist muss vielmehr grundsätzlich nach Ablauf der in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 vorgesehenen Frist von einer Woche zu laufen beginnen.“

Fazit

Empfänger gerichtlicher Schriftstücke aus dem EU-Ausland sollten genau darauf achten, dass das ausländische Gericht die Rechte des Empfängers gemäß der EUZVO streng beachtet. Verstöße führen im Zweifel zur Unwirksamkeit der Zustellung. Fristen nach nationalem Recht des Ausgangsstaates können nicht zu laufen beginnen, bevor nicht eine wirksame Zustellung an den Empfänger erfolgt ist. Dies schließt ein, dass dem Empfänger die volle einwöchige Überlegungsrist des Art. 8 EUZVO 2007 [Anmerkung: Die neue EUZVO 2020 sieht in Art. 12 mittlerweile eine zweiwöchige Frist vor] zur Verfügung stand.

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Anerkennung und Vollstreckbarkeit von ausländischen Urteilen

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Anerkennung und Vollstreckbarkeit von ausländischen Urteilen

Die Frage der Anerkennung und Vollstreckbarkeit von ausländischen Urteilen in Deutschland hat hohe praktische Relevanz:  Wenn im Konfliktfall ein ausländischer (außereuropäischer) Geschäftspartner mit einer Klage in seinem Heimatland droht, muss entschieden werden, ob eine Verteidigung gegen eine etwaige Klage im Ausland sinnvoll erscheint oder nicht. Lesen Sie zur Frage des Umgangs mit einer ausländischen Klage auch meinen Leitfaden „Klage aus dem Ausland – Was tun?“!

Nachfolgend soll einmal untersucht werden, was ein bereits ergangenes ausländisches Urteil für den deutschen Beklagten bedeutet. Droht ein solches Urteil oder ist es gar bereits ergangen, stellt sich für den deutschen Beklagten vor allem die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ihm die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil droht. Hiermit beschäftigt sich der folgende Beitrag. Wegen der sehr weit fortgeschrittenen Europäisierung des Rechts und der sich daraus ergebenen Besonderheiten im EU-Raum befasst sich der Beitrag ausschließlich mit Urteilen aus dem Nicht-EU-Ausland.

Ausgangspunkt: Erforderlichkeit eines Anerkennungsverfahrens

Soweit keine besonderen völkerrechtlichen Vereinbarungen anderes regeln, ist ein ausländisches Urteil in Deutschland zunächst einmal nichts wert.

Der ausländische Gläubiger, der mit seinem im Heimatland errungenen Urteil gegen seinen deutschen Schuldner in Deutschland Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen will, muss sich zunächst an das hierfür zuständige deutsche Gericht wenden, um das ausländische Urteil in einem gesonderten Verfahren für vollstreckbar erklären zu lassen. Dies ist in § 722 Abs. 1 ZPO normiert:

„Aus dem Urteil eines ausländischen Gerichts findet die Zwangsvollstreckung nur statt, wenn ihre Zulässigkeit durch ein Vollstreckungsurteil ausgesprochen ist.“

Erst ein erfolgreich erstrittenes Vollstreckungsurteil (vgl. § 723 ZPO) führt zur Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils auch in Deutschland.

Vorstehendes bedeutet:

Eine Reaktion auf eine im Ausland erhobene  Klage erscheint aus deutscher Sicht überhaupt nur dann  angezeigt, wenn ein etwaiges Urteil auch in Deutschland vollstreckt werden könnte. Anderenfalls wäre das Urteil im Ergebnis wertlos; dies jedenfalls dann, wenn der deutsche Beklagte im Land des Klägers kein Vermögen besitzt, auf das zugegriffen werden könnte.

 

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Vom deutschen Gericht zu prüfende Anerkennungshindernisse

Wie ausgeführt, setzt die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils in Deutschland  dessen Anerkennungsfähigkeit in Deutschland voraus. Die Anerkennungsfähigkeit wird im oben erwähnten Vollstreckbarkeitsverfahren nach den §§ 722, 723 ZPO vom deutschen Gericht von Amts wegen überprüft.

Mangels einschlägiger bilateraler Abkommen zwischen Deutschland und dem jeweiligen Klägerstaat gelten  für die Anerkennungsfähigkeit die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln.

Insbesondere ist die Anerkennungsfähigkeit  an § 328  Abs. 1 ZPO zu messen:

„(1) Die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen:

  1. wenn die Gerichte des Staates, dem das ausländische Gericht angehört, nach den deutschen Gesetzen nicht zuständig sind;

  2. wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und sich hierauf beruft, das verfahrenseinleitende Dokument nicht ordnungsmäßig oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte;

  3. wenn das Urteil mit einem hier erlassenen oder einem anzuerkennenden früheren ausländischen Urteil oder wenn das ihm zugrunde liegende Verfahren mit einem früher hier rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar ist;

  4. wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist;

  5. wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist“

Demnach ist einem ausländischen Urteil die Anerkennung in folgenden Fällen zu versagen:

Fehlende Zuständigkeit des ausländischen Gerichts

Der Zuständigkeitseinwand ist stets der am nächstliegende Aspekt, der gegen die Anerkennungsfähigkeit sprechen könnte. Denn international gilt im Zweifel der Grundsatz, dass eine Klage am Wohn- bzw. Geschäftssitz des Beklagten zu erheben ist. Folglich müsste sich die  Zuständigkeit des ausländischen Gericht für eine Klage gegen einen deutschen Beklagten aus einem besonderen Gerichtstand oder einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung ergeben.

Keine ordnungsmäßige Zustellung (Verletzung des sog. rechtlichen Gehörs)

Prüfenswert ist weiter der Einwand, dass es an einer ordnungsgemäßen Zustellung der ausländischen Klage fehlt. Hierfür ist z.B. erforderlich, dass der deutsche Beklagte genügend Gelegenheit gehabt haben muss, um sich gegen die Klage sachgerecht verteidigen zu können. Da die Rechtsprechung dieses Erfordernis sehr eng auslegt, hilft dieser Einwand meist nur in extrem gelagerten Fällen, also z.B. dann, wenn zwischen Zustellung an den deutschen Beklagten und Entscheidungstermin im Ausland nur wenige Tage liegen, was selten vorkommen dürfte.

Zudem ist in aller Regel eine Übersetzung der Klage in die deutsche Sprache erforderlich. Dies folgt in den meisten Fällen aus dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965, dem sich neben Deutschland eine große Mehrheit an Ländern angeschlossen hat.

Lesen Sie zum Thema der Wirksamkeit der Zustellung ergänzend auch meinen Beitrag „Klage aus dem Ausland – Zustellung wirksam?“.

Unvereinbarkeit mit anderweitiger gerichtlicher Entscheidung

Sehr praxisrelevant und dementsprechend bedeutsam ist auch der Einwand, dass der Anerkennung der ausländischen Entscheidung eine inländische Gerichtsentscheidung unvereinbar entgegensteht.

Dies gilt insbesondere im Falle der früheren Rechtshängigkeit eines inländischen Verfahrens mit dem identischen Streitgegenstand. „Rechtshängigkeit“ meint den Zeitpunkt, zu dem eine wirksam erhobene Klage dem Beklagten rechtswirksam zugegangen ist. Den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit im Ausland bestimmt dabei das ausländische Recht. Ob das ausländische Gericht Kenntnis vom inländischen Verfahren hatte, ist irrelevant.

Lesen Sie zu dieser Konstellation auch meinen gesonderten Beitrag „Die negative Feststellungsklage zur Verhinderung einer ausländischen Klage“.

Übrigens:

Der Vorrang der inländischen Entscheidung gilt selbst dann, wenn die inländische Entscheidung trotz früherer Rechtshängigkeit des ausländischen Verfahrens ergangen ist. Inländische Urteil sperren also immer, selbst dann also, wenn sie gar nicht hätten ergehen dürfen.

Unvereinbarkeit mit dem sog. ordre-public

Schließlich ist der sog. ordre public zu beachten. Hierbei geht es um die Vereinbarkeit des fraglichen ausländischen Urteils mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts. Wenn ein ausländisches Urteil deutschen Grundprinzipien derart zuwiderläuft, dass es schier unerträglich erschiene, ein solches Urteil in Deutschland für vollstreckbar zu erklären, dann ist ihm die Anerkennung  zu versagen.

Vorstehendes trifft vor allem bei Verstößen gegen die Grundrechte zu. Weitere Beispiele für gegen den deutschen ordre public verstoßende Urteile sind solche, die auf Prozessbetrug zurückgehen oder Urteile, deren Gegenstand Spiel- oder Wettschulden sind.

Fehlende Verbürgung der sog. Gegenseitigkeit

Zwingendes Anerkennungserfordernis ist zudem die sog. „Verbürgung der Gegenseitigkeit“ im Verhältnis zum fraglichen Urteilsstaat.

„Gegenseitigkeit“ meint, dass die Anerkennung und Vollstreckung eines deutschen Urteils in dem fraglichen ausländischen Staat auf keine wesentlich größeren Schwierigkeiten stoßen dürfte, als umgekehrt die Anerkennung und Vollstreckung eines vergleichbaren ausländischen Urteils in Deutschland. Kurz: Es geht darum, dass die „Spielregeln“ untereinander einigermaßen übereinstimmen müssen. Denn es kann nicht sein, dass Deutschland ein Urteil aus einem Land anerkennt, das umgekehrt deutschen Urteilen die Anerkennung verweigert bzw. nur unter erheblichen erschwerten Voraussetzungen gewährt.

Vorgenannte Definition führt zu folgendem Problem: Die Frage der sog. Gegenseitigkeit lässt sich nur über die tatsächliche Gerichtspraxis beider Länder beantworten. Diese Praxis ist ständig im Fluss, so dass in jedem konkreten Fall dieser Frage gesondert nachzugehen ist.

Folgen aus der Nicht-Verteidigung gegen die ausländische Klage:  Begrenzung der Verteidigungsmöglichkeiten im Vollstreckbarkeitserklärungsverfahren

Wie schon in der Einleitung  ausgeführt, haben die zuvor dargestellten Anerkennungsvoraussetzungen für ausländische Urteile bereits Bedeutung bei der Entscheidung des deutschen Beklagten, ob er sich gegen die Klage überhaupt verteidigen soll.

Grundsätzlich steht es dem deutschen Beklagten frei, ob er die „Verteidigung in der Ferne“ – unter Inkaufnahme (vielleicht) unnötiger und dabei hoher Kosten – aufnehmen möchte.

Zu beachten ist dabei, dass inhaltliche Einwände gegen den Anspruch grundsätzlich im materiellen Klageverfahren vorgebracht werden müssen. Dies gilt allerdings gemäß der Rechtsprechung des BGH nicht generell, insbesondere ist es auch im Anerkennungsverfahren noch möglich, den Einwand des Prozessbetrugs zu erheben. Der BGH hat mit Urteil vom 29.04.1999 (Az. X ZR 263/97) ausgeführt:

„Im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung ist ergänzender Tatsachenvortrag der Parteien jedenfalls insoweit zulässig, als aus der Art des Zustandekommens des anzuerkennenden Urteils ein Verstoß gegen § ZPO § 328 Abs. ZPO § 328 Absatz 1 Nr. 4 ZPO abgeleitet werden soll. Dem steht nicht der Grundsatz entgegen, dass ein betrügerisches Erschleichen eines ausländischen Urteils nicht mit denselben Beweismitteln dargelegt werden kann, deren sich ein Beklagter bereits im Ausgangsverfahren bedient hat oder hätte bedienen können (BGH, Beschl. v. 19. September 1977 – BGH Aktenzeichen VIIIZR12075 VIII ZR 120/75, NJW 1978, NJW Jahr 1978 Seite 1114, NJW Jahr 1978 Seite 1115). Dieser Grundsatz greift ein, wenn sich ein Beklagter vor dem Gericht des Erststaates tatsächlich verteidigt. Dagegen stellen sowohl § 328 Absatz 1 Nr. 2 als auch Nr. 4 ZPO es dem im Inland ansässigen Beklagten frei, sich im Ausland überhaupt einzulassen. Geht er das Risiko ein, sich im Ausland verurteilen zu lassen, so nimmt er die Erschwernis auf sich, im Anerkennungsverfahren nur noch eng begrenzte Verteidigungsmittel geltend machen zu dürfen. Jedenfalls der Betrugseinwand wird ihm aber nicht abgeschnitten.“

Ausländische UrteileFazit und Empfehlung

Die vorstehenden zusammenfassenden Ausführungen zeigen, dass der Anerkennung und damit der Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile in Deutschland diverse Hürden entgegenstehen. Hieraus folgt für deutsche Wirtschaftsbeteiligte, die sich mit einem Rechtsstreit im Ausland bedroht sehen, dass die sachgerechte Entscheidung, wie mit dem jeweiligen Konflikt umzugehen ist, nicht nur von der rein materiellen Rechtslage abhängt, sondern nicht zuletzt auch von prozessualen Fragestellungen.

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