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Corona als Störung der Geschäftsgrundlage?

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Corona als Störung der Geschäftsgrundlage? Pacta sunt servanda – auch in Corona Zeiten!

Der BGH hat mit Blick auf Corona als Störung der Geschäftsgrundlage  jüngst in zwei richtungsweisenden Urteilen klargestellt, dass dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ („Verträge sind einzuhalten“) auch unter ungewöhnlichen, von niemanden einkalkulierten Umständen wie die Corona-Krise besondere Beachtung gebührt. Richtig so!

Concept of signing to sign a contract.

Problembeschreibung: Corona als Störung der Geschäftsgrundlage?

Unzählige Vertragsverhältnisse konnten seit Beginn der Corona-Krise nicht planmäßig durchgeführt werden (vgl. dazu auch diesen Beitrag). Schuld waren meist die staatlichen Corona-Maßnahmen, für die naturgemäß keine der Vertragsparteien eine Verantwortung trifft. Dies hat die spannende Frage aufgeworfen, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen die vertragliche Hauptleistung – z.B. die Überlassung der Räumlichkeiten in mietrechtlichen Konstellationen – trotz der Corona-Maßnahmen nach wie vor erbracht werden konnte, allerdings die Nutzung der Räume für den Mieter infolge der Corona-Maßnahme ganz oder teilsweise nicht möglich war.

Die Instanzgerichte haben in den zurückliegenden rund zwei Jahren unter Verweis auf Corona als Störung der Geschäftsgrundlage allzu leicht der belasteten Partei – im vorgenannten Beispiel also dem Mieter – das Recht auf Kürzung oder gar Fortfall der eigenen Leistungspflicht (z.B. Mietzahlung) zugesprochen. Oft wurde dabei pauschal vorgegangen und z.B. eine Teilung ausgeurteilt.

Dieses Vorgehen ist nach nun ergangener BGH-Rechtsprechung rechtlich nicht haltbar. Dieser Rechtsprechung ist zuzustimmen!

Die Klarstellungen des BGH zu Corona als Störung der Geschäftsgrundlage  im Einzelnen 

Ausgangspunkt: pacta sunt servanda

Wie schon eingangs erwähnt, hat der BGH in zwei aktuellen, für das Recht auf Vertragsanpassung nach § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) richtungsweisenden Entscheidungen in begrüßenswert deutlicher Form klargestellt, dass Verträge auch im Falle einer späteren schwerwiegenden Änderung der vertraglichen Grundlagen grundsätzlich einzuhalten sind.

Würdigung der vereinbarten und/oder im Vertrag angelegten Risikoverteilung – wer trägt das Verwendungsrisiko?

Dies gilt insbesondere und selbstverständlich dann, wenn das sich infolge der geänderten Umstände realisierte Risiko einer Vertragspartei gesetzlich und/oder vertraglich zugewiesen ist.

Am Beispiel des Gewerberaummietrechts hat der BGH in seinem Urteil vom 12. Januar 2022, Az. XII ZR 8/21, erläutert, wie streng die Verpflichtung zum Einhalten eines geschlossenen Gewerbemietvertrages zu verstehen ist.

Dazu Folgendes:

Gegenstand dieses neuen Urteils des BGH vom 12. Januar 2022 war die vollständige Schließung eines Ladengeschäfts, die durch Corona bedingte behördliche Maßnahmen erforderlich geworden war.

Für den Mieter bedeutete dies für den Schließungszeitraum einen vollständigen Wegfall der Verwendungsmöglichkeiten hinsichtlich des von ihm angemieteten Gewerberaums.

Zu diesem Sachverhalt hat der BGH festgestellt, dass

  • der komplette Fortfall der Verwendungsmöglichkeiten weder einen Mangel der Mietsache noch einen Fall der Unmöglichkeit der Überlassung der Mietsache darstellt, und
  • bei mietrechtlichen Vertragsverhältnissen das sogenannte Verwendungsrisiko qua Gesetz beim Mieter liegt.

Gegenstand des Verwendungsrisikos ist dabei laut BGH insbesondere auch die Erwartung des Mieters ist, Gewinne erwirtschaften zu können.

Noch bedeutsamer ist die weitere Feststellung des BGH, dass die Übernahme des vorgeschriebenen Verwendungsrisikos auch nachträglich eintretende Umstände, z.B. in Form behördlicher Maßnahmen, umfasst. Der BGH hat ausgeführt:

„Das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache trägt bei der Gewerberaummiete dagegen grundsätzlich der Mieter. Dazu gehört vor allem das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines nachträglich eintretenden Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Mieters. Das gilt auch in Fällen, in denen es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Mieters kommt (Senatsurteil vom 13. Juli 2011 – XII ZR 189/09NJW 2011, 3151 Rn. 8 f. mwN).“

Recht auf Vertragsanpassung als große Ausnahme

Als eine Konsequenz daraus, dass das Verwendungsrisiko auch nachträglich eintretende, dabei möglicherweise schwerwiegend wirkende, Umstände umfasst, hat der BGH weiterhin klargestellt, dass ein Anspruch der betroffenen Partei auf Vertragsanpassung unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB nicht in Betracht kommen kann, wenn und soweit die fraglichen Umstände, auf die ein solches Anpassungsrecht gestützt wird, vom von dieser Partei übernommenen Vertragsrisiko umfasst ist.

Der BGH hat dazu in wiederum begrüßenswerter Klarheit ausgeführt:

„Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist allerdings grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen (Senatsurteil BGHZ 223, 290 = NJW 2020, 331 Rn. 37 mwN).“

Zwischen Fazit zur Bedeutung von Corona als Störung der Geschäftsgrundlage

„Pacta sunt servanda“ bedeutet, dass übernommene Vertragspflichten grundsätzlich auch bei einer nachträglichen schwerwiegenden Veränderung der dem Vertrag zugrunde liegenden Umstände unverändert fortgelten.

Insbesondere wenn also nach den getroffenen Vereinbarungen ein bestimmtes Vertragsrisiko, z.B. das Verwendungsrisiko, von einer Partei übernommen worden ist, so können Umstände, die dieses übernommene Risiko betreffen, nicht Basis eines Vertragsanpassungsanspruchs sein.

BEACHTE:

Selbst wenn eine Auslegung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die im fraglichen Fall eingetretenen Umstände das übernommene Risiko „sprengen“, führt dies nicht dazu, dass die vereinbarte Risikoverteilung unbeachtlich wird.

Vielmehr trägt in solchen Fällen, auch dies hat der BGH klargestellt, die nach den getroffenen Vereinbarungen risikotragende Partei das verwirklichte Risiko nicht allein. Anhand der Umstände des Einzelfalles ist zu ermitteln, wie die Parteien an den Folgen des verwirklichten Risikos konkret zu beteiligen sind. Der BGH hat ausgeführt:

„Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte im vorliegenden Fall nicht vertraglich das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall einer pandemiebedingten Schließung ihres Einzelhandelsgeschäfts übernommen.“

Wichtig an vorzitierter Feststellung ist wie gesagt, dass der BGH selbst bei einer kompletten Schließung nur annimmt, dass in diesem Fall das Verwendungsrisiko nicht allein beim Mieter zu sehen ist.

Inhalt und Verlust des Vertragsanpassungsrechts

Für den Fall, dass der betroffenen Partei ausnahmsweise ein Recht auf Vertragsanpassung gemäß den vorgeschriebenen Kriterien zuzubilligen ist, hat der BGH auf Rechtsfolgenseite, also mit Blick auf den Inhalt einer etwaigen Vertragsanpassung, wiederum dem Grundsatz des pacta sunt servanda ein hohes Gewicht beigemessen.

Mit weiterem Urteil vom 2. März 2022, Az XII. ZR 36/21 hat der BGH zunächst darauf hingewiesen, dass es für ein Recht auf Vertragsanpassung noch nicht ausreichend ist, dass die fraglichen veränderten Umstände das vertraglich übernommene Risiko übersteigen. Der BGH hat in seinem Urteil vom 12. Januar 2022 (Az. XII ZR 8/21) ausgeführt:

Auch wenn die mit einer pandemiebedingten Betriebsschließung verbundene

Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann, bedeutet dies aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann.“

Vielmehr muss hinzukommen, dass unter Würdigung wiederum aller Umstände des Einzelfalls das unveränderte Festhalten am Vertrag als gänzlich unzumutbar erscheint.

Für die Frage der Zumutbarkeit kommt der vereinbarten Risikoverteilung besondere Bedeutung zu. Dies hat der BGH in diesem weiteren Corona-Urteil vom 2. März 2022 (Az. XII ZR 36/21) explizit herausgestellt:

Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Das Gericht muss daher nach § 313 Abs. 1 BGB diejenigen Rechtsfolgen wählen, die den Parteien unter Berücksichtigung der Risikoverteilung zumutbar sind (MünchKommBGB/Finkenauer 8. Aufl. § 313 Rn. 89) und durch die eine interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt wird (BGH Urteil vom 21. September 1995 – VII ZR 80/94ZIP 1995, 1935, 1939 mwN).“

Den vorzitierten Ausführungen des BGH ist eine weitere wichtige und dabei sehr begrüßenswerte Feststellung zu entnehmen. Diese besteht darin, dass im Falle der Bejahung eines Vertragsanpassungsanspruchs inhaltlich eine Anpassung zu wählen ist, die einen möglichst geringen Eingriff in das ursprünglich Vereinbarte darstellt. Damit hat der BGH ein weiteres Mal den hohen Stellenwert des Pacta-sunt-servanda Grundsatzes herausgestellt.

Vertragsanpassungen sind nach den zutreffenden Ausführungen des BGH „Millimeter Arbeit“.

Jede inhaltliche Anpassung des Vereinbarten bedarf einer besonderen Rechtfertigung, die unter Beachtung der vorbeschriebenen Kriterien und unter Abwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu begründen ist.

BEACHTE:

Aus dem Dargestellten folgt, konsequenterweise, dass die unter Umständen anspruchsberechtigte Partei ihr Vertragsanpassungsrecht auch wieder – und zwar endgültig – verlieren kann!

Dies gilt nämlich dann, wenn die Partei das ihr angebotene Anpassungsrecht endgültig ablehnt. Letzteres war im vom BGH mit Urteil vom 2. März 2022 entschiedenen Fall gegeben.

In diesem Fall musste die dort streitgegenständliche Hochzeitsfeier Corona-bedingt für den geplanten Termin abgesagt werden. Vom Vermieter der Hochzeitsräumlichkeiten waren Ersatztermine genannt worden, an denen das Brautpaar allerdings kein Interesse mehr zeigte, es wollte ausschließlich die bereits gezahlte Miete erstattet bekommen.

Der BGH hat dazu entschieden, dass der Anspruch auf Rückzahlung der Miete nicht besteht. Das Ehepaar hätte sich zumindest mit einer Verschiebung der Feier einverstanden erklären müssen. Da es dies abgelehnt hatte, blieb es bei der Mietzahlungspflicht. 

Der BGH hat ausgeführt (ab Rz. 41 des Urteils):

(…) Rechtsfehlerhaft ist dagegen, dass das Berufungsgericht nicht ausreichend in den Blick genommen hat, ob sich der Anspruch der Kläger nach § 313 Abs. 1 BGB auf Vertragsanpassung auf die von der Beklagten angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier beschränkt, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. (…)  Dabei hat es jedoch nicht angemessen berücksichtigt, dass die Beklagte den Klägern bereits am 26. März 2020 eine Vielzahl von Ausweichterminen, auch für das Jahr 2021, angeboten hat, die den Klägern eine langfristige Planung auch unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung des Pandemiegeschehens ermöglicht hätte. Dieses Angebot zu einer kostenlosen Umbuchung des Termins hat die Beklagte am 25. April 2020 wiederholt. Die Kläger waren jedoch zu weiteren Verhandlungen mit der Beklagten über eine angemessene Vertragsanpassung nicht bereit und haben das Angebot auf Verlegung des Termins pauschal abgelehnt. Dies zeigt, dass die Kläger an einer interessengerechten Lösung nicht interessiert waren, sondern allein eine Aufhebung des Mietvertrags erreichen und damit das Risiko der Absage der Feier einseitig auf die Beklagte verlagern wollten.

(…)

Die von den Klägern angestrebte Vertragsanpassung dahingehend, dass sie von ihrer Verpflichtung zur Mietzahlung ganz oder teilweise befreit werden, kommt somit nicht in Betracht, weil ihnen die Annahme des Angebots der Beklagten auf Verlegung des Termins für die geplante Hochzeitsfeier unter Abwägung aller Umstände einschließlich der vertraglichen Risikoverteilung (§ 313 Abs. 1 BGB) zumutbar ist. (…)“

BEACHTE:

Wesentlich ist das vorzitierte Urteil vom 2. März 2022 auch unter einem weiteren Gesichtspunkt. Denn der BGH hat in diesem Urteil, das im Anschluss an das erste Corona-Urteil vom 12. Januar 2022 (BGH-Urteil vom 12.02.2022, Az. XII ZR 8/21), bei dem es bekanntlich um Gewerbemietrecht ging, ergangen ist, nun auch für den  Verbraucherbereich entschieden, dass der Grundsatz „pacta sunt servanda“ sehr streng anzuwenden ist und eine Vertragsanpassung daher nur in absoluten Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann.

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Corona als Störung der Geschäftsgrundlage? – Gesamt-Fazit

Pacta sunt servanda! Auch in Corona-Zeiten.

 

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Richtungsweisendes Urteil des BGH zum Recht des Unternehmenskaufs (Urteil vom 26. September 2018, Az. VIII ZR 187/17, Urteilsgründe stehen aus)

Ein richtungsweisendes neues Urteil des BGH (Az. VIII ZR 187/17) beseitigt einen grundlegenden Irrtum betreffend die Haftung beim Unternehmenskauf:

Das Urteil in Kürze (BGH-Urteil vom 26. September 2018, Az. VIII ZR 187/17)

Der Anteilskauf ist Rechtskauf, auf den die Regeln über die Sachmängelhaftung grundsätzlich keine Anwendung finden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn Kaufgegenstand das ganze Unternehmen ist bzw. im Falle des Anteilskaufs (fast) alle Anteile sind. Entgegen eines Jahrzehnte lang bestehenden Irrtums der Rechtsliteratur sowie der Instanzgerichte reicht es hingegen nicht aus, wenn der Erwerber in Folge der Transaktion alle bzw. fast aller Anteile eines Unternehmens hält.

Der Fall

Mit Urteil vom 26. September 2018 hat der VIII. Zivilsenat des BGH einen Jahrzehnte alten Irrtum der Rechtspraxis beerdigt. Gegenstand des Urteils ist folgender, stark verkürzt dargestellter Fall, den ich seit erster Instanz persönlich auf Seiten der Klägerin begleite:

A und B waren im Rahmen eines Joint Ventures zu gleichen Teilen Anteilseigner einer GmbH. A erwarb nach der Entscheidung über die Beendigung des Joint Ventures alle Anteile an der GmbH von B mit der Folge, dass A seit der Transaktion alle Anteile allein hält. Im Kaufvertrag vereinbarten die Parteien einen umfassenden Gewährleistungsausschluss. Nach Durchführung der Transaktion stellte sich heraus, dass die GmbH bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses insolvent und somit nicht mehr fähig war, am Markt werbend zu agieren. Daraufhin forderte A von B unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage den gezahlten Kaufpreis zurück, weil – im Grundsatz unstreitig – beide Seiten davon ausgingen, dass die GmbH solvent ist und der Kaufpreis auf Basis einer gemeinsam abgestimmten Wertermittlung bestimmt worden sei. B wendet ein, dass wegen Vorrangigkeit der Sachmängelhaftung eine Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen sei. Eine Haftung wegen eines Sachmangels sei wiederum ausgeschlossen, weil ein umfassender Gewährleistungsausschluss vereinbart sei. Eine Beschaffenheitsvereinbarung sei nicht getroffen worden.

Der Irrtum der Instanzgerichte (OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.08.2017, Az. 13 U 44/15)

Beide Instanzgerichte haben die entsprechende Klage von A mit der Begründung abgewiesen, dass die Regeln über die Sachmängelgewährleistung Anwendung finden würden. Infolgedessen sei wegen des vereinbarten Gewährleistungsausschlusses kein Anspruch gegeben. Die Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage hätten neben dem Sachmängelgewährleistungsrecht keinen Raum.

Die Anwendbarkeit des Sachmängelgewährleistungsrechts hatte das OLG Karlsruhe (Urteil vom 02.08.2017, Az. 13 U 44/15) in dem Glauben, sich diesbezüglich auf eine geklärte Rechtslage zu stützen, wie folgt begründet:

Nach allgemeiner Meinung (Übersicht zum Meinungsstand bei Beisel/Klumpp, Der Unternehmenskauf, 7. Auflage 2016, § 4 Rn. 10) ist der Kauf von Gesellschaftsanteilen (,,share deal“) auch nach neuem Recht Rechtskauf im Sinne des § 453 Abs. 1 Var. 1 BGB und wird insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung weiterhin jedenfalls dann wie ein Unternehmenskauf im Wege eines „asset deals“ (Veräußerung eines Inbegriffs von Rechts- und Sachgesamtheiten einschließlich unkörperlicher Werte wie etwa eines „good will“, siehe dazu BGH, Urteil vom 02.03.1988  – VIII ZR 63/87, juris Rn. 16) behandelt,  wenn sich der Kaufvertrag  auf den Erwerb sämtlicher Anteile der unternehmenstragenden Gesellschaft erstreckt (Staudinger/Beckmann, BGB, Neubearbeitung 2013, § 453 Rn. 90) oder die beim Verkäufer oder Dritten verbleibenden Anteile so geringfügig sind, dass sie die Verfügungsbefugnis des Erwerbers über das Unternehmen nicht entscheidend beeinträchtigen, sofern der Wille der Parteien auf den Kauf des Unternehmens  als Ganzes gerichtet ist (BeckOK  BGB/Faust BGB § 453 Rn. 32 m. z. w. N. zum Meinungsstand).

(…)

Der hier erfolgte Kauf von 50 % der Geschäftsanteile an der Zielgesellschaft im Rahmen eines sogenannten share deals ist auch unzweifelhaft als Kauf des ganzen Unternehmens einzuordnen, da die Klägerin mit dem Kauf bestimmungsgemäß sämtliche Geschäftsanteile der Zielgesellschaft auf sich vereinte und als alleinige Geschäftsinhaberin nunmehr die Geschicke der Zielgesellschaft allein bestimmte. Daher ist auf diesen Unternehmenskauf auch nach neuem Schuldrecht das Sachmängelgewährleistungsrecht auf Mängel des Unternehmens anwendbar.

Der große Irrtum des OLG liegt in Folgendem:

Für die Anwendbarkeit der Regeln über die Sachmängelgewährleistung reicht es entgegen dem OLG nicht aus, dass der Erwerber mit dem Kauf bestimmungsgemäß sämtliche Geschäftsanteile der Zielgesellschaft auf sich vereint.

Die Klarstellung des BGH in der mündlichen Verhandlung am 26. September 2018

Die Vorsitzende des XIII. Zivilsenats des BGH erläuterte in der mündlichen Verhandlung sinngemäß:

„Da sei der BGH in der Vergangenheit wohl missverstanden worden.“

Wie der Senat dann im Rahmen des weiteren Verlaufs der mündlichen Verhandlung klarstellte, ist eine Anwendung des Sachmängelgewährleistungsrechts ausschließlich dann gerechtfertigt, wenn der Kaufgegenstand selbst das Unternehmen im Ganzen – oder zumindest fast Ganzen – abbildet. Entsprechend könne von einem Sachkauf unter Geltung des Sachmängelrechts keine Rede sein, wenn Kaufgegenstand – wie im vorliegenden Fall – lediglich 50 % der Anteile an einem Unternehmen bilden. Es reiche – entgegen einem seit Jahrzehnten verbreiteten Irrtums – nicht aus, wenn der Käufer als Ergebnis der Transaktion alle Anteile an einem Unternehmen hält.

Folge für den gegenständlichen Fall sei insbesondere, dass die Regeln über den Wegfall bzw. die Störung der Geschäftsgrundlage nicht verdrängt seien. Hierfür habe ich von erster Instanz an gekämpft…

Der BGH hat aus den genannten Gründen die Entscheidung des OLG Karlsruhe aufgehoben und zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen.

 

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Urteilsgründe noch ausstehend

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