Insolvenzanfechtung: Rückforderung von Zahlungen

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Post vom Insolvenzverwalter: Rückforderung von Zahlungen (Insolvenzanfechtung) – Leitfaden für Unternehmen

 EINLEITUNG

Der Insolvenzverwalter fordert bereits vereinnahmte Zahlungen zurück. Grundlage ist die Insolvenzanfechtung nach §§ 129–146 InsO. Für Unternehmen geht es dann nicht um Moral, sondern um bares Geld: Lässt sich der Anspruch abwehren, reduzieren oder wirtschaftlich sauber erledigen. Dieser Beitrag ordnet die maßgeblichen Anfechtungstatbestände, erklärt deren Voraussetzungen verständlich und zeigt, wie sich ein von der Anfechtung betroffenes Unternehmen wirksam verteidigt.

RECHTLICHER AUSGANGSPUNKT

Die Anfechtung stützt sich auf §§ 129 bis 146 InsO. Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die andere Gläubiger benachteiligt. Rechtshandlung ist jede willensgetragene Gestaltung mit rechtlichen Wirkungen, etwa eine Zahlung oder die Bestellung einer Sicherheit. Benachteiligung liegt vor, wenn sich die Masse verringert oder der Zugriff der Gläubiger erschwert wird. Der Insolvenzverwalter muss Tatbestand und Benachteiligung substantiiert darlegen und beweisen. Das betroffene Unternehmen ist für entlastende Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig.

TATBESTÄNDE  – VERSTÄNDLICH ERKLÄRT

§ 130 InsO (kongruente Deckung)

  • Worum es geht: Erfüllung einer fälligen, geschuldeten Forderung auf dem vereinbarten Weg.
  • Warum der Verwalter angreift: behauptete Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit.
  • Worauf es ankommt: übliche Zahlungsziele, unveränderte Kontoverbindung, keine Eskalation. Routine senkt die Anfechtungswahrscheinlichkeit.

131 InsO (inkongruente Deckung)

  • Worum es geht: Leistung, auf die so kein Anspruch bestand (z. B. vorzeitige Zahlung ohne Grundlage, ungewöhnliche Sicherheit, Leistung unter Vollstreckungsdruck).
  • Warum der Verwalter leichter durchdringt: Atypik als Krisensignal.
  • Verteidigung: Atypik als branchenüblich oder vertraglich vereinbart erklären; Gleichwertigkeit und Kausalität belegen.

132 InsO (unmittelbar benachteiligende Rechtshandlung)

  • Worum es geht: Handlungen, die ohne Zwischenschritt die Masse schmälern (z. B. nicht geschuldete Sicherheiten für Altverbindlichkeiten).
  • Verteidigung: kein Netto-Nachteil, Wertausgleich und Gegenleistung belegen.

134 InsO (unentgeltliche Leistung)

  • Worum es geht: Leistungen ohne angemessenen Gegenwert.
  • Verteidigung: Entgeltlichkeit und Gegenwert dokumentieren; echte Gegenleistung zeigen.

135 InsO (Rechtsgeschäfte mit Gesellschaftern)

  • Worum es geht: Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen und Sicherheiten zugunsten von Gesellschaftern.
  • Relevanz für Lieferanten: nur, wenn Lieferant zugleich Gesellschafter ist oder nahesteht.

133 InsO (Vorsatzanfechtung)

  • Worum es geht: Rechtshandlungen mit Benachteiligungsvorsatz des Schuldners; der Gläubiger kannte den Vorsatz.
  • Indizien: dauerhafte Zahlungsstockungen, Vollstreckungsnähe, ratenähnliche Abreden mit Krisenbezug.
  • Verteidigung: Normalität der Geschäftsbeziehung, Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, keine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit.

142 InsO (Bargeschäft)

  • Worum es geht: gleichwertiger, zeitnaher Austausch von Leistung und Gegenleistung.
  • Bedeutung: zentrales Gegengewicht; Streit über enge Zeitnähe und Gleichwertigkeit, beides dokumentationsintensiv.

RÜCKSCHAUFRISTEN – ÜBERBLICK

  • § 130 InsO (kongruent): grundsätzlich die letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag.
  • § 131 InsO (inkongruent): besonders scharf im letzten Monat; im zweiten und dritten Monat nur unter zusätzlichen Voraussetzungen (u. a. Zahlungsunfähigkeit/Kenntnis).
  • § 133 InsO (Vorsatz): bis zu zehn Jahre; für Sicherungen und Befriedigungen teils auf vier Jahre begrenzt.
  • § 134 InsO (unentgeltlich): vier Jahre.
  • § 135 InsO (Gesellschafter): Rückzahlung Gesellschafterdarlehen ein Jahr; Sicherheiten teils längere Zeiträume.
    Die genaue Einordnung richtet sich nach dem konkreten Tatbestand und dem Zeitpunkt der Handlung.

DARLEGUNGS- UND BEWEISLAST – WER WAS BELEGEN MUSS

Der Insolvenzverwalter (als Vertreter der Masse) muss den geltend gemachten Anfechtungstatbestand vollständig darlegen und beweisen – einschließlich Gläubigerbenachteiligung, Art und Zeitpunkt der Rechtshandlung, (In-)Kongruenz, Zahlungsunfähigkeit im relevanten Zeitraum sowie – soweit tatbestandlich gefordert – Kenntnis bzw. Kennenmüssen auf Seiten des Anfechtungsgegners.
Das von der Anfechtung betroffene Unternehmen (Anfechtungsgegner) trägt die Darlegungs- und Beweislast nur für rechtsausschließende Einwendungen, insbesondere Bargeschäft (§ 142 InsO), konkreten Wertausgleich oder Verjährung.

Tatbestandsbezogen – präzise zusammengefasst:

  • § 130 InsO (kongruent): Verwalter belegt Deckung, Zeitraum, Zahlungsunfähigkeit und Kenntnis/Kennenmüssen; der Anfechtungsgegner legt Normalitätsbelege vor und – falls einschlägig – das Bargeschäft.
  • § 131 InsO (inkongruent): Verwalter belegt Atypik und Zeitraum (Monat 1 streng; Monate 2–3 mit Zusatzvoraussetzungen); der Anfechtungsgegner zeigt vertragliche/branchenübliche Grundlage und Gleichwertigkeit.
  • § 132 InsO (unmittelbar benachteiligend): Verwalter belegt die unmittelbare Benachteiligung; der Anfechtungsgegner weist wirtschaftlichen Wertausgleich nach.
  • § 134 InsO (unentgeltlich): Verwalter behauptet Unentgeltlichkeit; der Anfechtungsgegner belegt Entgeltlichkeit und Gegenleistung.
  • § 135 InsO (Gesellschafter): Verwalter belegt Gesellschaftertatbestand; der Anfechtungsgegner grenzt Rollen und etwaige Drittmittel ab.
  • § 133 InsO (Vorsatz): Verwalter trägt Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis beim Anfechtungsgegner (meist über Indizien); der Anfechtungsgegner erschüttert die Indizkette mit Routine- und Gegenwertbelegen.
  • § 142 InsO (Bargeschäft – Einwendung): liegt vollständig beim Anfechtungsgegner; Gleichwertigkeit und enge wirtschaftliche Zeitnähe sind zu belegen.

Vermutungen und Indizien – Wirkung ohne Beweislastumkehr

Indizien wie Zahlungseinstellung, dauerhafte Zahlungsstockung, Vollstreckungsnähe oder ratenähnliche Abreden erleichtern dem Verwalter den Einstieg. Sie begründen Indizwirkung, verlagern die materielle Beweislast aber nicht. Aufgabe des Anfechtungsgegners ist es, solche Indizien substantiell zu erschüttern – durch dokumentierte Routine, projekt- oder abnahmebedingte Zahlungsmodalitäten, klare Gegenleistungen, stabile Kredit-/Limitdaten und nachvollziehbare Drittmittelwege.

Sekundäre Darlegungslast

Tatsachen aus der Sphäre des Anfechtungsgegners (z. B. Gleichwertigkeit beim Bargeschäft, interne Abnahmeprozesse, Zahlungswege über Factoring/Treuhand/Konzernclearing) lösen eine sekundäre Darlegungslast des Unternehmens aus: strukturierter Sachvortrag mit Belegen ist erforderlich. Die materielle Beweislast für den Anfechtungstatbestand verbleibt gleichwohl beim Insolvenzverwalter.

Typische Beleglagen

  • Für den Verwalter sprechen: geplatzte Lastschriften, Kontowechsel, Vollstreckungsnähe, nachträgliche Sicherheiten für Altverbindlichkeiten, E-Mails mit erkennbaren Liquiditätsproblemen.
  • Für die Abwehr sprechen: geschlossene Zeitlinie (Bestellung – Leistung/Abnahme – Rechnung – Zahlung), unveränderte Zahlungsziele/Konten, dokumentierte Gegenleistungen, vertraglich fixierte – leistungsbedingte – Raten, nachvollziehbare Drittmittelströme.
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VERTEIDIGUNGSANSÄTZE

§ 130 InsO (kongruent)

  • Ansatz: vertragliche Routine belegen, Kenntnisvorwürfe entkräften.
  • Erforderliche Unterlagen: Bestellung/Rahmenvertrag mit Zahlungsziel; Abnahme-/Leistungsnachweise; Rechnung; Zahlungsavis und Valuta; unveränderte Kontoverbindung; OP-Listen; ggf. Kreditversicherungs-/Limitdaten.
  • Kernargumente: fällige Forderung; vereinbarter Zahlungsweg; keine Vollstreckungsnähe; keine außergewöhnlichen Stundungen; keine Kenntnis/kein Kennenmüssen von Zahlungsunfähigkeit.

131 InsO (inkongruent)

  • Ansatz: Atypik vertraglich/branchenüblich erklären; wirtschaftliche Neutralität herausarbeiten.
  • Erforderliche Unterlagen: vertragliche Grundlagen für vorgezogene/gestaffelte Zahlungen/Sicherheiten; Prozessbeschreibungen; Leistungs-/Abnahmeprotokolle; Wertnachweise.
  • Kernargumente: leistungs- bzw. abnahmebedingte Abweichung; Gleichwertigkeit; keine Benachteiligung im Vorgang.

132 InsO (unmittelbar benachteiligend)

  • Ansatz: Wertausgleich und Gegenleistung im selben wirtschaftlichen Zusammenhang belegen.
  • Erforderliche Unterlagen: Bewertungsunterlagen; Gutschriften/Verrechnungen; Leistungsbelege; Verrechnungsabreden.
  • Kernargumente: kein Nettoabfluss aus der Masse; wirtschaftliche Neutralität.

134 InsO (unentgeltlich)

  • Ansatz: Entgeltlichkeit in Tatsachen auflösen.
  • Erforderliche Unterlagen: Leistungs-/Abnahmeprotokolle; Serviceberichte; Nutzennachweise; Gegenrechnungen
  • Kernargumente: konkrete, messbare Gegenleistung; kein Gefälligkeitscharakter.

135 InsO (Gesellschafter)

  • Ansatz: Rollen säubern und Drittmittel offenlegen.
  • Erforderliche Unterlagen: Gesellschafterliste/Kapitalstruktur; Darlehens- und Sicherungsverträge; Zahlungsflüsse; Drittgläubigerpositionen.
  • Kernargumente: kein Gesellschafterdarlehen bzw. externe Drittmittel; andernfalls wirtschaftliche Lösung über belastbaren Vergleich.

133 InsO (Vorsatz)

  • Ansatz: Indizkette auflösen; Geschäftsablauf als geordnet dokumentieren.
  • Erforderliche Unterlagen: Chronologie Bestellung–Leistung–Abnahme–Rechnung–Zahlung; Termin-/Projektmails; Limit-/Bonitätsunterlagen; Nachweise für Gegenleistungen; ggf. Drittmittelwege.
  • Kernargumente: keine Krisenkenntnis; projekt-/abnahmebedingte Zahlungsmodalitäten statt Liquiditätsnot; Gleichwertigkeit.

142 InsO (Bargeschäft – Einwendung)

  • Ansatz: Gleichwertigkeit und enge wirtschaftliche Zeitnähe lückenlos belegen.
  • Erforderliche Unterlagen: Bestellung; Lieferschein/Leistungsnachweis; Abnahme; Rechnung; Zahlungsavis; Valuta; ggf. Preis-/Wertgutachten.
  • Kernargumente: unmittelbarer Austausch; wirtschaftliche Gleichwertigkeit; Sperrwirkung gegen Anfechtung.

BELEGTE CHRONOLOGIE DES GESCHÄFTS – ZWECK UND UMSETZUNG

Die Chronologie des Geschäfts ist das Beweisgerüst für das betroffene Unternehmen. Sie soll prüfbar belegen, dass jede Zahlung auf einer konkreten, gleichwertigen Leistung beruht und der Ablauf vertraglich normal war. Damit trägt sie die Verteidigung (Routine, Bargeschäft, Wertausgleich, keine Kenntnis).

Was die Chronologie nachweist:

  • Vertragsbasis: Bestellung/Rahmenvertrag, Zahlungsziel, ggf. Abnahmeprozesse und Sicherheiten.
  • Gegenleistung: Lieferung/Leistung und Abnahme mit Datum und Bezug zur Bestellung.
  • Zahlungszuordnung: Rechnung und Valuta, eindeutig derselben Leistung zugeordnet.
  • Zahlungsweg: Zahlung über den vereinbarten Weg/Konto, keine Sonderwege.
  • Zeitnähe/Gleichwertigkeit (falls geltend gemacht): enger wirtschaftlicher Zusammenhang und Wertäquivalenz.
  • Wertausgleich/Drittmittel (falls relevant): Gutschrift/Verrechnung bzw. Factoring/Treuhand/Konzernclearing nachvollziehbar dargestellt.

So wird die Chronologie aufgebaut:

  • Reihenfolge der Belege: Bestellung/Rahmenvertrag → Leistungs-/Abnahmenachweis → Rechnung → Kontoauszug/Valuta (ggf. Zahlungsavis) → ggf. Gutschrift/Verrechnung → ggf. Drittmittelunterlagen.
  • Zu jedem Beleg eine knappe Verknüpfung: „bezieht sich auf Bestellung X/Position Y; betrifft Rechnung Z; Valuta am …“.
  • Abweichungen (z. B. Teilabnahmen/-zahlungen wegen Abnahmefenstern) kurz begründen und belegen.

MUSTERTEXTE FÜR DEN ERSTKONTAKT MIT DEM INSOLVENZVERWALTER


Muster 1:  Erste sachliche Erwiderung

Betreff: Ihr Schreiben vom [Datum] – Anfechtung nach InsO – Vorgang [Aktenzeichen]

Sehr geehrte Damen und Herren,

die geltend gemachte Rückgewährforderung wird dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Der streitige Zahlungsvorgang steht in einem laufenden Leistungsaustausch. Fällige Forderungen wurden vertragsgemäß beglichen. Hinweise auf eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit lagen auf unserer Seite nicht vor.

Bitte übermitteln Sie die von Ihnen herangezogene Zahlungsübersicht mit Valutadaten sowie die aus Ihrer Sicht relevanten Unterlagen. Nach Eingang werden wir ergänzend Stellung nehmen.

Mit freundlichen Grüßen
[Unternehmen, Ansprechpartner, Kontaktdaten]

Muster 2: Unterlagenanforderung und Friststeuerung

Betreff: Ihr Schreiben vom [Datum] – Anfechtung nach InsO – Vorgang [Aktenzeichen] – Unterlagenanforderung / Frist

Sehr geehrte Damen und Herren,

zur sachgerechten Prüfung benötigen wir die folgenden Unterlagen und Angaben:
– Zahlungsaufstellung mit Buchungs- und Valutadaten, Zuordnung zu Rechnungen/Leistungen,
– die von Ihnen herangezogenen Indizien zur behaupteten Zahlungsunfähigkeit im relevanten Zeitraum,
– Hinweise auf etwaige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, Ratenabreden oder Sicherheitsbestellungen, auf die Sie sich stützen.

Bitte übersenden Sie die Unterlagen zeitnah. Die von Ihnen gesetzte Frist bitten wir bis auf Weiteres zu verlängern. Eine abschließende Stellungnahme erfolgt nach Auswertung der Unterlagen.

Mit freundlichen Grüßen
[Unternehmen, Ansprechpartner, Kontaktdaten]

DREI BEISPIELHAFTE PRAXISFÄLLE


Kongruente Zahlung im Projektablauf

Ein Unternehmen liefert Spezialteile nach Meilensteinen. Rechnung wird nach Abnahme fällig und innerhalb des vereinbarten Zieles bezahlt. Es gab keine Mahnspirale, keine Vollstreckung, keine Kontowechsel. Der Verwalter argumentiert mit angeblicher Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit. Die Chronologie zeigt Routine: Bestellung, Abnahme, Rechnung, Zahlung.

Ergebnis:

Angriff scheitert oder führt zu einer sehr niedrigen Quote.

Ratenabrede aus Leistungsgründen

Großprojekt, ein hoher Einzelbetrag wird in mehreren Tranchen abgerechnet, weil Abnahmen nur in definierten Produktionsfenstern stattfinden. Das ist vertraglich dokumentiert. Keine E-Mails mit Liquiditätsklagen, sondern Termin- und Abnahmeabsprachen. Der Verwalter will eine Krisenbeziehung konstruieren. Die Unterlagen zeigen das Gegenteil.

Ergebnis:

Vertretbare Einigung oder Abwehr, je nach Nachweislage.

Bargeschäft bei Ersatzteillieferung

Expresslieferung kritischer Ersatzteile. Zahlung kurz nach Lieferung. Abnahme- und Servicenachweise lückenlos, Zahlungsavis und Valuta belegt. Gleichwertigkeit und enge zeitliche Klammer sind klar.

Ergebnis:

Anfechtung scheitert am Bargeschäft.

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Ich vertrete Unternehmen bei Insolvenzanfechtungen und führe die Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter. Ziel ist eine belastbare Lösung: Abwehr, Reduktion, saubere Erledigung.

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Was machen sog. Mediaagenturen? – Eine Analyse der im Mediageschäft üblichen Vertragsverhältnisse.

Das Vertragsverhältnis zwischen Mediaagenturen und Werbekunden wird schon lange kontrovers diskutiert. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob Mediaagenturen auf einer eigenen Wirtschaftsstufe stehen oder aber als Geschäftsbesorger der Werbekunden zu qualifizieren sind. Prominentester Fall, der hierzu geführt hatte, ist Alexander Ruzicka, der zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden war, weil  er zu Lasten der Mediaagentur (und damit letztlich auch zu Lasten der Werbekunden), deren Geschäftsführung er damals innehatte, von den Medien erhaltene Rabatte und sonstige Vergünstigungen in die eigene Tasche gewirtschaftet haben soll. Spätestens dieser pressewirksame Prozess hat die Praxis der Mediaagenturen insgesamt, insbesondere Umfang und Behandlung der Vergünstigungen (“Kick backs”, Freespots etc.), die seitens der Medien gewährt wurden und werden,  zu einem großen Thema werden lassen. Diskutiert wird vor dem Hintergrund der auffälligen  Intransparenz des “Systems”  insbesondere darüber Art und Umfang der gewährten Rabatte sowie nicht zuletzt über die Frage, wem diese Rabatte zustehen.

Im Folgenden soll überblicksmäßig dargestellt werden, wie die im Mediageschäft existenten Vertragsverhältnisse zivilrechtlich zu beurteilen sind.

Vorüberlegung zur Tätigkeit von Mediaagenturen

Hauptgegenstand des Vertragsverhältnisses Mediaagentur/Medien ist die Platzierung der Werbung der Werbekunden. Mithin erfolgt – jedenfalls rein tatsächlich – seitens der Mediaagenturen eine “Vermittlung” von Werbung zwischen Werbungskunde und Medien. Mit Blick auf Vorstehendes, erscheint es jedenfalls denkbar, dass das Vertragsverhältnis Werbungskunde/Mediaagentur Einfluss hat auf das Vertragsverhältnis Mediaagentur/Medien. Es erscheint deshalb vorliegend sinnvoll, zunächst das Vertragsverhältnis zwischen den Mediaagenturen mit den Werbekunden zu betrachten:

Vertragsverhältnis Werbungskunde/Mediaagentur

Meinungsstand: Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.d. § 675 BGB versus “Eigene Wirtschaftsstufe” (Eigenhändler)

Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.d. § 675 BGB

Mit Blick auf den Inhalt des Vertragsverhältnisses, nämlich Mediaeinkauf und Mediaabwicklung, Mediaplanung, Mediaberatung und Mediaanalyse, wird es herkömmlich dem Geschäftsbesorgungsrecht (§ 675 BGB) zugeordnet: Der Werbungskunde wirbt nicht selbst, sondern er lässt werben. Diese Tätigkeit entspricht der (noch) herrschenden Meinung zum Begriff der “Geschäftsbesorgung” i.S.d. ” 675 BGB, wonach der Geschäftsbesorger gegenüber dem Geschäftsherrn dazu verpflichtet ist, eine selbstständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen auszuführen (vgl. BGH Urteil vom 16.6.2016, Az. III ZR 282/14NJW-RR 2016, 1391; Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage, § 675, Rn. 3 ff. m.w.N).

Vorgenannter Definition entspricht bis heute die Tätigkeit der Mediaagenturen, die von den Mediaagenturen im Sinne vorgenannter Definition der herrschenden Meinung eigenständig – nämlich mangels abweichender Vereinbarung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung – jedenfalls auch in Wahrnehmung der Vermögensinteressen der Werbungskunden durchgeführt wird (vgl. Martinek, Mediaagenturen und Mediarabatte, 2008, S. 27; ders. jM 2015, 6, 9 f., 13f.). Diese Einordnung wird auch im Gutachten des BGH Richters a.D. Dr. Gerhard Schäfer vom 31.1.2009  bestätigt.

Diese Geschäftsbesorgungsverträge sind – je nach inhaltlicher Ausgestaltung – dem Dienst- (§ 611 BGB) oder Werkvertragsrecht (§ 631 BGB) zuzuordnen. Ein Werkvertrag dürfte vorliegen, wen – erfolgsbezogen – eine Einzelmaßnahme Gegenstand des Vertrages ist, um einen Dienstvertrag dürfte es sich handeln, wenn es sich um einen rein zeitlich und/oder gegenständlich abgesteckten Vertrag handelt.

 “Eigene Wirtschaftsstufe”

Vorstehend dargestellter herrschenden Meinung steht die von den Mediaagenturen selbst vertretene und von nicht ungewichtigen Stimmen der Literatur (insb. Prof. Michael Martinek, aaO.) unterstützte Auffassung gegenüber, wonach die Vorschriften des Auftragsrechts, mithin auch das Geschäftsbesorgungsrecht, mit Blick auf die über Jahrzehnte herausgebildete Praxis des Mediaagenturgeschäfts zu einer “Entfremdung” vom Leitbild des Geschäftsbesorgers geführt habe mit der Folge, dass das Geschäftsbesorgungsrecht unanwendbar bleiben solle. Diese Auffassung wird vor allem darauf gestützt, dass die Mediaagenturen mittlerweile eine “eigene Wirtschaftsstufe” darstellen würden, mithin die Einordnung der Mediaagenturen als  “Mittler” nicht mehr passend sei.

Diese Auffassung wird im Wesentlichen auf folgende Umstände der Mediageschäftspraxis gestützt:

  • Handeln im eigenen Namen und auf eigene Rechnung: Unternehmerisches RisikoDie Mediaagenturen handeln, soweit nicht einzelvertraglich anders vereinbart, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Das bedeutet, dass sie auch das unternehmerische Risiko aus der Schaltung von Werbemaßnahmen in den Medien tragen wie beispielsweise Zahlung der Schaltkosten auch bei Insolvenz oder Zahlungsweigerung des Kunden. Ihrem Auftraggeber gegenüber haften sie für Fehler des Mediums, etwa bei nicht rechtzeitigem oder fehlerhaftem Abdruck der Anzeige.
  • Vergütungssystem: Angewiesen sein auf außertarifliche RabatteIn der Praxis verlangen die Werbekunden von den Mediaagenturen die Herausgabe bzw. die Weiterleitung der von den Medien erhaltenen Mediaprovision (Agenturvergütung, AE-Provision). Dies geschieht praktisch in der Regel mittels eines Verrechnungsvorgangs: Der Werbekunde vereinbart mit der Mediaagentur eine Vergütung in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes vom Mediaschaltvolumen; der Prozentsatz liegt in der Realität zwischen 0,8 und 2,0%. Den Rest der 15%igen AE-Provision verwendet der Werbekunde zu einem Teil für die Vergütung der Kreativagentur (etwa 7%) und den verbleibenden Teil behält er selbst.

    Den Mediaagenturen verbleiben also von der ihnen medienseits gewährten Agenturvergütung nur ein kleiner Bruchteil. Sie sehen sich deshalb zur Erreichung ihrer kaufmännischen Ziele für ihr Unternehmen veranlasst, von den Medien für Zusatzleistungen oder auch für die Bündelung der Budgets mehrerer Kunden zusätzliches Einkommen in Form von außertariflichen Rabatten, Boni oder Vergütungen zu generieren.

    Aus vorgenannten Umständen, die im Tatsächlichen kaum angezweifelt werden können, wird zunehmend gefolgert, dass hier jedenfalls keine typische Geschäftsbesorgung i.S.d. § 675 BGB gegeben sei. So stehe die eigene Vermittlungstätigkeit in Geschäft der Mediaagenturen heute eher im Hintergrund.

Würdigung

Wenn ein Dienstvertrag oder ein Werkvertrag eine “Geschäftsbesorgung” zum Gegenstand hat, ist der Beauftragte verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben (§ 675 Abs. 1 i.V. mit § 667 BGB). Hierin liegt die Relevanz des Meinungsstreites:

Die Auffassung, dass die Mediaagenturen als eigene Wirtschaftsstufe keine Geschäftsbesorgung mehr nach dem Leitbild des BGB betreiben, verdient Beachtung. Die Mediaagenturen betreiben zum wohl größeren Teil ein eigenes Geschäft auf eigener Wirtschaftsstufe. Das Betreiben dieses eigenen Geschäfts kann in der Tat als eine Notwendigkeit bezeichnet werden, die daraus resultiert, dass die Werbekunden regelmäßig mit Erfolg die Durchleitung der tariflichen Rabatte durchsetzen. Eigenes Einkommen können die Mediaagenturen vor diesem Hintergrund nur auf andere Weise, z.B. durch Aushandeln von kundenunabhängigen, nur ihnen gebührenden Rabatten, generieren.

Dennoch gilt gemäß dem bereits oben angeführten aktuellen Urteil des BGH vom 16.6.2016 (Az. III ZR 282/14NJW-RR 2016, 1391), dass im Zweifel eine Weiterleitungspflicht anzunehmen ist, weil nach seiner Auffassung die Mediaagentur ein „typischer Geschäftsbesorger“ sei. Die Leitsätze des BGH lauten (NJW-RR 2016, 1391, beck-online):

1.Mediaagenturverträge sind ihrer Rechtsnatur nach regelmäßig als Geschäftsbesorgungsverträge zu qualifizieren, bei denen sich der eine Teil (Mediaagentur) zur Ausführung einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Wahrung fremder Vermögensinteressen (insbesondere Mediaplanung und -einkauf) und der andere Teil (werbungtreibender Kunde) zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet.

2.Tritt die Mediaagentur bei den Mediabuchungen im eigenen Namen, aber für Rechnung des Auftraggebers auf, vereinnahmt sie zwar als Vertragspartnerin der Medien zunächst auch sämtliche Rabatte und sonstigen Vergünstigungen; wegen ihres Status als typische Geschäftsbesorgerin unterliegt sie jedoch den Auskunfts- und Herausgabepflichten nach §§ 666667 Alt. 2 BGB.

3.Der Umstand, dass ein Sondervorteil nicht unmittelbar an den Auftragnehmer, sondern an einen Dritten geleistet wird, schließt es nicht aus, dass der Auftragnehmer die Herausgabe schuldet. Entscheidend ist, ob eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass der Beauftragte als der wirtschaftliche Inhaber des Vermögenswerts anzusehen ist (im Anschluss an BGH, NJW 1987, 1380).

 Aus Leitsatz 3 ergibt sich, dass die Herausgabepflicht anhand der Umstände des Einzelfalles zu würdigen ist. Hiermit im Einklang hat das OLG München mit Urteil vom 23.12.2009 (Az. 7 U 3044/09) ausdrücklich festgestellt, dass die Weiterleitungspflicht (Herausgabepflicht) von Rabatten und Vergünstigungen individualvertraglich geregelt werden kann. Dies sollten die Parteien tun, um den oben beschriebenen Meinungsstreit zu umgehen.