Construction worker with construction level working on a sidewalk

Wesentlicher Mangel im Anlagenbau

LEGAL+

LEGAL+ NEWS

Wesentlicher Mangel im Anlagenbau

Die Beantwortung der Frage, ob ein wesentlicher Mangel vorliegt, bereitet gerade im oft sehr komplexen Anlagenbau große Schwierigkeiten. Dabei stellt das Fehlen wesentlicher Mängel die entscheidende Voraussetzung für die Abnahme dar. Letztere hat erhebliche rechtliche und praktische Bedeutung: So knüpft hieran regelmäßig der Beginn der Gewährleistungsfristen an. Zudem hängt von der Abnahme in aller Regel die Fälligkeit eines erheblichen Teils der vereinbarten Vergütung ab.

Mit den Kriterien, die bei Beurteilung der Frage, ob ein wesentlicher Mangel anzunehmen ist, vor allem bedeutsam sind, befasst sich der nachfolgende Beitrag.

Allgemeine Definition: Wesentlicher Mangel

Grundsätzlich liegt ein wesentlicher Mangel vor, wenn ein Mangel nach seiner Art und seinem Umfang, vor allem aber nach seinen Auswirkungen so gravierend ist, dass es dem Auftraggeber unter Beachtung objektiver Gesichtspunkte im Verhältnis zu dem nach dem Vertragszweck vorausgesetzten Gebrauch und dem erreichten Erfolg nicht zugemutet werden kann, letztlich auf Gewährleistungsansprüche verwiesen zu sein.

Frage: Ist Verweis auf Mängelrechte zumutbar?

Insbesondere im Anlagenbau zeigt sich, dass eine vollständige Mangelfreiheit im vereinbarten Abnahmezeitpunkt nicht erzielt werden kann. Demgemäß ist die Wesentlichkeit eines Mangels gerade im Großanlagenbau weniger schnell erreicht, als bei einem weniger komplexen Werk.

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Auftraggeber die Abnahme wegen wesentlicher Mängel verweigern darf,  sind stets die Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Neben der Frage, ob dem Auftraggeber der Verweis auf die Mängelrechte zumutbar erscheint, sollte dabei auch der Frage nachgegangen werden, ob es ein Mangel rechtfertigt, dem Auftragnehmer alle Vorteile der Abnahme zu verweigern.

Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit und Sicherheitsmängel sind meist als wesentlicher Mangel zu werten

Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit und Sicherheitsmängel sind in aller Regel als wesentlich zu betrachten.

Hier können ggf. bereits „kleinere“ Abweichungen einen wesentlichen Mangel bedeuten. So hat  z.B. des OLG Düsseldorf (BauR 2004, 1668) geurteilt, dass im Bereich Schallschutz bereits eine negative Abweichung  um 3dB ausreichen kann, um einen wesentlichen Mangel zu begründen.

Bei der Gebrauchsfähigkeit des gelieferten Werks ist zu berücksichtigen, dass deren Beeinträchtigung umso höher – und damit umso eher als wesentlicher Mangel –  bewertet werden muss, sofern zugesicherte Eigenschaften nicht erfüllt sind, denn der Auftraggeber hat diesen eine besondere Bedeutung zugemessen.

Anzahl vorhandener Mängel bedeutsam?

Auch wenn allein aus der bloßen Anzahl von Mängeln noch nicht automatisch geschlossen werden kann, dass die Leistung nicht abnahmefähig ist, so kann sich aus der Summe von für sich gesehen unwesentlichen Mängeln durchaus ein Recht zur Abnahmeverweigerung ergeben.  Insofern können im Einzelfall mehrere kleine Mängel aufsummiert im Ergebnis einem wesentlichen Mangel gleichzustellen sein.

Höhe der Mangelbeseitigungskosten

Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit sind schließlich auch die (gesamten) Mangelbeseitigungskosten zu berücksichtigen.

Je höher die Gesamtkosten für die Beseitigung vorhandener Mängel sind, desto eher dürfte das Kriterium der Wesentlichkeit erfüllt sein.

Construction site in Dubai

Fazit: Wesentlicher Mangel

Obige Darstellung zeigt, dass die Frage, ob ein wesentlicher Mangel vorliegt, in weiten Teilen eine Wertungsfrage darstellt. Als hilfreich hat sich in der Praxis immer wieder die Beantwortung der Frage erwiesen, ob es der fragliche Mangel gerechtfertigt erscheinen lässt, dem Auftragnehmer die wesentlichen Rechtsfolgen der Abnahme zu verweigern.

Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
Construction worker in protective uniform shaking hands with businessman in hardhat at construction

Förmliche Abnahme im Baurecht

LEGAL+ NEWS

Zur vertraglichen Vereinbarung über die Durchführung einer förmlichen Abnahme

Gerade im Falle komplexer (Anlagen-)Bauvorhaben vereinbaren die Vertragsparteien häufig – dies meist unter Zugrundelegung der VOB/B – die Durchführung einer sog. förmlichen Abnahme. Die Abnahme einer Werkleistung bedeutet die Anerkennung des Werks als eine im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung. Gerade im Baurecht kommt der Abnahme große Bedeutung zu. So verbinden sich mit ihr erhebliche Rechtsfolgen, wie z.B.

  • der Gefahrübergang,
  • eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Vorliegens von Mängeln sowie
  • das Ende des Erfüllungsstadiums.

Zudem setzt regelmäßig ein erheblicher Teil  des Vergütungsanspruchs die vorangegangene Abnahme voraus.

Nachfolgender Beitrag befasst sich mit der Frage, was es mit einer solchen förmlichen Abnahme eigentlich auf sich hat.

Wesenskern der förmlichen Abnahme

Zentrales Merkmal der förmlichen Abnahme ist, dass die Parteien als Abnahmeerklärung den Zugang einer entsprechenden empfangsbedürftigen Willenserklärung ausdrücklich vereinbart haben.

Gesetzliche und/oder vertragliche Abnahmevoraussetzungen unerheblich bei vereinbarter förmlicher Abnahme

Im Falle einer Vereinbarung über eine ausdrücklichen Abnahme (die förmliche Abnahme ist eine besondere Form der ausdrücklichen Abnahme) ist für das Eintreten der Abnahmewirkungen nicht Voraussetzung, dass die gesetzlichen und/oder vertraglichen Abnahmevoraussetzungen vorliegen.

Dem Besteller steht es daher frei, ein Werk abzunehmen, auch wenn es eigentlich an Voraussetzungen für die Abnahme, mithin der Abnahmereife, fehlt (Beispiele: Werk noch unvollständig, wesentliche Mängel liegen vor etc.).

Andere Abnahmeformen (zunächst) ausgeschlossen

Die Abnahme ist grundsätzlich auf verschiedene Art und Weise möglich. So  kann z.B. eine Abnahme auch konkludent (durch schlüssiges Verhalten) erfolgen, oder dadurch, dass trotz ordnungsgemäßer Fertigstellung des Werkes und fruchtlos gesetzter Frist zur Abnahme der Auftragnehmer das Werk nicht abnimmt (sog. fiktive Abnahme).

Die Vereinbarung der Durchführung einer förmlichen Abnahme führt  dann (zunächst) dazu, dass andere Abnahmeformen ausgeschlossen sind.

Durchführung der förmlichen Abnahme

Zwingende (gesetzliche) Voraussetzungen bestehen für eine förmlich Abnahme nicht. Allerdings ergibt sich daraus, dass die förmliche Abnahme den Zugang einen entsprechenden ausdrücklichen Abnahmeerklärung voraussetzt, dass zum Zwecke der förmlichen Abnahme regelmäßig ein – nicht zwingend – gemeinsamer Abnahmetermin stattfindet, dessen Ergebnisse in einem Protokoll festgehalten werden.

Formerfordernisse – Protokollierung genügt

Die Abnahmeerklärung kann vom Besteller schriftlich oder mündlich (auch) unabhängig von der Anfertigung einer Niederschrift gegenüber dem Unternehmer abgegeben werden.

Den Formerfordernissen der förmlichen Abnahme ist mit der Erstellung eines Protokolls daher in jedem Falle genüge getan. Unterschriften unter dem Protokoll sind für die Wirksamkeit der Abnahme und den Eintritt der Abnahmewirkungen daher nicht erforderlich, allerdings zu empfehlen.

Wichtig: Nachträglicher Verzicht auf förmliche Abnahme möglich

Wie schon gesagt, bedeutet die Vereinbarung einer förmlichen Abnahme, dass andere Abnahmeformen grundsätzlich ausgeschlossen sind. Dies gilt allerdings nur „zunächst“:  Denn auch bei der vertraglichen Vereinbarung einer förmlichen Abnahme ist der nachträgliche, ausdrückliche oder konkludente Verzicht auf die förmliche Abnahme möglich.

Dies kann etwa bei einer mehrmonatigen kommentarlosen Hinnahme durch den Auftraggeber der Fall sein oder aber, wenn nach einem entsprechenden Zeitablauf der Nutzung des Werkes nicht mehr damit gerechnet werden muss, dass der Auftraggeber nun doch noch eine förmliche Abnahme verlangt (Havers, a.a.O., vgl. auch Keine in: Bock/Zons, Rechtshandbuch Anlagenbau, Teil B, VII. Abnahme, Rn. 42; Hilger/Kaminsky, Anlagenbau im In- und Ausland, Rn. 434).

Das OLG Bamberg führt hierzu aus:

„Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur kann die Abnahme durch schlüssige Handlung durch Ingebrauchnehmen durch Bauherrn (sic!) gemäß § 12 Ziff. 5 VOB/B auch bei förmlicher Abnahmevereinbarung im Vertrag möglich werden, wenn feststellbar ist, daß die Parteien auf die vereinbarte Abnahme durch schlüssiges Verhalten verzichtet haben (BGH NJW 93, 1063) (…)“ (OLG Bamberg, Urteil vom 05. Mai 1997 – 4 U 188/96 –, Rn. 9, juris)

Problematisch dabei ist, dass im Gegensatz zur denkbaren fiktiven Abnahme durch Inbetriebnahme, bei der die Abnahme unabhängig vom Willen des  Auftraggebers fingiert wird, die stillschweigende Abnahme als Willenserklärung des Auftraggebers einen entsprechenden Abnahmewillen voraussetzt.

Der BGH führt dazu aus:

„Zur Annahme einer stillschweigenden Werkabnahme müssen jedoch Tatsachen festgestellt sein, aus denen sich unzweideutig ergibt, daß die Parteien auf die vereinbarte förmliche Werkabnahme durch schlüssiges Verhalten verzichtet haben.“ (BGH, Urteil vom 03.11.1992, Az.: X ZR 83/90 – auch hier ging es um Anlagenbau, EDV-Anlage)

Construction worker in protective uniform shaking hands with businessman in hardhat at construction

Abnahmeverweigerung nur bei wesentlichen Mängeln zulässig – Unberechtigte Abnahmeverweigerung lässt Abnahmewirkungen dennoch eintreten

Der Auftraggeber darf die Abnahme nur dann verweigern, wenn das abzunehmende Werk wesentliche Mängel aufweist. Die entsprechenden Regelungen in § 640 BGB und § 12 Abs. 3 VOB/B haben insofern identische Bedeutung. Entscheidend ist die Frage, ob die Wirkungen der Abnahme eintreten oder nicht. Dies ist dann der Fall, wenn wegen des Fehlens wesentlicher Mängel die Abnahme zu Unrecht verweigert wurde. Es treten dann alle Abnahmefolgen auch ohne den Willen des Auftraggebers ein – und dies unabhängig davon ob die Abnahmeverweigerung vorläufig oder etwa bedingt oder endgültig ist (vgl. hierzu Messerschmidt in Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, § 640 BGB, Rn. 237 f.; Bröker a.a.O., Rn. 25 ff. jeweils m.w.N.)

Es kommt also darauf an, ob ein wesentlicher Mangel vorliegt. Lesen Sie hierzu meinen gesonderten Beitrag.

Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
Construction

Vertragsrecht: Zum Durchstellen von Verträgen im Baurecht

LEGAL+ NEWS

Vertragsrecht: Zum Durchstellen von Verträgen im Baurecht - speziell im Anlagenbau

Im Baurecht, vor allem im Bereich Anlagenbau, übernimmt der regelmäßig beauftragte Generalunternehmer sehr beträchtliche Risiken. Ein charmanter Weg, um diese Risiken zu begrenzen, kann für ihn das Durchstellen von Verträgen oder einzelner relevanter Vertragsbedingungen an seine Subunternehmer sein.

Hierbei vereinbart der Generalunternehmer mit jedem seiner Subunternehmer, dass sämtliche Pflichten aus dem Generalunternehmervertrag (Hauptvertrag), soweit sie das Gewerk des Subunternehmers betreffen, an diesen „weitergeleitet“ werden. Der Generalunternehmer reicht so die betreffenden Pflichten 1:1 an seine Subunternehmer durch.

Nachfolgender Beitrag befasst sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen einer solchen Vertragskonstruktion mittels Durchstellen von Verträgen, insbesondere mit der Frage, inwieweit gegen eine solche Konstruktion Wirksamkeitsbedenken bestehen könnten.

 Grundsätzliche Zulässigkeit einer solchen Vertragsgestaltung

Verträge mit Nachunternehmern (Sunbunternehmerverträge) sind grundsätzlich selbstständige Bauleistungsverträge, aus denen sich die Rechte und Pflichten unabhängig vom Hauptvertrag ergeben (Junghenn, Beck VOB-Kommentar, Teil B, 3. Auflage 2013, Rn. 24).

Die Übertragung der Pflichten des Generalunternehmers gegenüber dem Bauherrn aus dem Hauptvertrag auf Nachunternehmer ist dabei eine grundsätzlich rechtlich mögliche und in der Praxis ausgeübte Vertragskonstellation:

Diese Möglichkeit ergibt sich beispielsweise schon aus der VOB/B, geregelt in § 4 Abs. 8: Danach hat zwar der Auftragnehmer die Leistung in Eigenbetrieb zu erbringen, er kann aber auch ohne Zustimmung des Auftraggebers Nachunternehmer beauftragen, wenn die konkrete Leistung nicht in sein Fachgebiet fällt.

Letzteres ist gerade im Anlagenbau wohl die Regel. Selten dürfte ein Generalunternehmer beim Bau komplexer Anlagen über sämtliche der erforderlichen Fachkompetenzen selbst verfügen.

Es ist hierbei auch eine anerkannte Möglichkeit des Generalunternehmers, seine Werkleistungen in Gänze  auf Nachunternehmer zu vergeben (Junghenn, Beck VOB-Kommentar, Teil B, 3. Auflage 2013, Rn. 8). Der Generalunternehmer nimmt dann eine Art Zwischenhändlerfunktion ein (Klaus Ramming: Überlegungen zur Ausgestaltung von Nachunternehmerverträgen durch AGB, BB 1994, Heft 8, 518).

Unabhängig davon können zwischen Auftragnehmer und Nachunternehmern im und zum Nachunternehmervertrag inhaltlich gleiche und gleichlaufende Regelungen getroffen werden, wie sie sich im davon rechtlich eigenständigen Hauptvertrag zwischen Auftragnehmer und seinem Auftraggeber finden; dabei hat der Auftragnehmer (oft als Generalunternehmer), der „zwischen den zwei Stühlen“ Auftraggeber und Nachunternehmer sitzt, zwangsläufig ein begründetes Interesse an der Parallelschaltung (Synchronität) wichtiger Regelungen des Generalunternehmervertrags einerseits und des Nachunternehmervertrags andererseits (Junghenn, Beck VOB-Kommentar, Teil B, 3. Auflage 2013, Rn. 24).

Schließlich ist auch das Durchstellen von Regelungen des Hauptvertrages durch schlichte Verweisung grundsätzlich rechtlich möglich (Richter in Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 2. Auflage 2012, Rn. 238). Dies gilt in jedem Fall für die Synchronisierung der Leistungspflichten (Kimmich/Bach VOB für Bauleiter, 6. Auflage 2014, Rn. 408).

Unwirksamkeit im Einzelfall nach AGB -Prüfung

Die einzig verbleibende Problematik in diesem Zusammenhang könnte damit sein, dass das Verweisen auf die Regelungen des Hauptvertrages im jeweiligen Einzelfall zur Anwendung des AGB- Rechts führen könnte und daraus für einzelne Klauseln eine mögliche Unwirksamkeit in Betracht kommt.

Sofern über die Einbeziehung der Regelungen des Hauptvertrages in den Subunternehmervertrag nicht verhandelt worden ist, dürfte das AGB-Recht regelmäßig zur Anwendung kommen.

Eine AGB-rechtliche Unwirksamkeit kommt dabei beispielsweise beim Durchstellen von Klauseln zu Verjährungsfristen, außerordentlichen Kündigungsrechten sowie der Fälligkeit in Betracht (vgl. Zusammenstellung von Richter in Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 2. Auflage 2012, Rn. 240- 246).

Wichtig: Durchstellen der Leistungspflichten AGB-rechtlich unbedenklich!

Hinsichtlich der wohl wichtigsten und zugleich haftungsträchtigsten Klausel, nämlich der Weiterreichung der Leistungspflichten, bestehen allerdings regelmäßig keinerlei Wirksamkeitsbedenken.

Der  Verweis auf den Hauptvertrag betreffend die Leistungspflichten dürfte bereits keine AGB-Regelung darstellen. Zudem dürfte ein solcher Verwies auch AGB-rechtlich unbedenklich sein.

Die im Hauptvertrag geregelten Leistungspflichten stellen regelmäßig selbst keine AGB dar, weil diese wohl immer individuell zwischen Auftraggeber und Generalunternehmer vereinbart werden. Diese Individualvereinbarung wird auch nicht dadurch zu AGB, dass sie mit mehreren Subunternehmern per Verweis vereinbart werden.

Ohnehin findet gegebenenfalls eine AGB-Prüfung bezüglich des Leistungsumfangs ohnehin nur begrenzt statt. Sie beschränkt sich auf eine reine Transparenzkontrolle, eine Inhaltskontrolle findet nicht statt.

Construction

Fazit

Das Durchstellen von Verträgen des Generalunternehmers auf Nachunternehmer ist bei Individualabreden unproblematisch zulässig.

Bei Vorliegen von AGB können sich für das Durchstellen einzelner Klauseln Probleme ergeben. Dies gilt aber regelmäßig  nicht bezüglich des Durchstellens der Leistungsbeschreibung.

Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
Group Of Media Students Collaborating On Project

Influencer-Werbung: Der vom Verband sozialer Wettbewerb (VSW) in Gang gesetzte Rechtsprechungs-Wirrwarr geht weiter.

LEGAL+ NEWS

Influencer-Werbung: Der vom Verband sozialer Wettbewerb (VSW) in Gang gesetzte Rechtsprechungs-Wirrwarr geht weiter.

Das LG München (Urteil vom 29.4.2019, Az. 4 HK O 14312/18) hält im Fall Kathy Hummels unbezahlte Posts mit Produkterwähnungen für offensichtich werblich und deshalb nicht kennzeichnungspflichtig. Damit setzt sich der vom Verband sozialer Wettbewerb (VSW) in Gang gesetzte Rechtsprechungs-Wirrwarr im Bereich Influencer-Werbung fort.

Das Urteil des LG München vom 29.4.2019 (Az. 4 HK O 14312/18)

Mit Urteil vom 29.4.2019 hat das LG München (Az. 4 HK O 14312/18) entschieden (Quelle: Pressemitteilung 6/2019 vom 29.04.2019), dass im Falle von Influencern mit einer Bekanntheit wie Kathy Hummels auch unbezahlte Posts Werbung seien. Allerdings sei dies dem angesprochenen Publikum bekannt, weshlb eine Kennzeichnungspflicht nicht bestehe. Entpsrechend hat das LG München die Klage des VSW abgewiesen.

In der Pressemitteilung heißt es:

Das Gericht entschied, dass die Posts der Beklagten keine getarnte Werbung sind. Zwar handelte die Beklagte gewerblich, weil sie durch die Posts die verlinkten Unternehmen und ihr eigenes Unternehmen förderte. Das aber lässt der Instagram-Account der Beklagten nach Auffassung der Kammer für die angesprochenen Verkehrskreise erkennen.“

Das LG München hat dabei betont, dass stets eine Einzelfallentscheidung zu der Frage zu treffen sei, ob ein Post erkennbar Werbung darstellt (= keine Kennzeichnungspflicht) oder nicht (= dann kennzeichnungsppflichtig). In der Pressemitteilung heißt es:

Die Kammer unterstrich, dass die Erkennbarkeit des gewerblichen Handelns in jedem Einzelfall geprüft werden muss, die Entscheidung daher nicht generell mit Blick auf andere Blogger oder Influencer verallgemeinert werden darf. Ausschlaggebend in diesem konkreten Fall waren u.a. die Anzahl der Follower der Beklagten und der Umstand, dass es sich um ein öffentliches, verifiziertes und mit einem blauen Haken versehenes Profil handelt.“

Einordnung in den Kontext bisheriger Urteile zur Influencer Werbung

Das Urteil des LG München setzt ausschließlich seinem Ergebnis nach die zustimmungswürdige Linie des Kammergericht Berlin (Urteil vom 9.1.2019, Az. 5 U 83/18) fort. So hatte auch das KG Berling entgegen der Vorinstanz entschieden, dass im Falle Vreni Frost Posts, die Kleidungstücke, Schuhe und Accessoires etc. zeigen, nicht generell als Werbung zu kennzeichnen sind. Das KG Berlin hatte ausgeführt:

„Es ist davon auszugehen, dass Internetauftritte wie der von der Antragsgegnerin betriebene Account unter “…” besucht werden, weil die Nutzer sich auch dafür interessieren, welche Kleidung, Schuhe und Accessoires die Bloggerin ausgewählt und miteinander kombiniert hat. Das Interesse der Besucher beschränkt sich nicht darauf, Bilder anzusehen. Naturgemäß geht es zumindest auch darum, Auswahl und Kombinationen nachzumachen oder Anregungen für die eigene Aufmachung zu finden. Die Mitteilung, unter welcher Marke die vorgestellten Produkte angeboten werden und wo sie bezogen werden können, beantwortet dann ein bestehendes Informationsbedürfnis.

Die Erklärung der Antragsgegnerin, sie tagge die abgebildeten Kleidungsstücke, Schuhe und Accessoires, um Anfragen der Besucher ihres Instagram-Auftritts zuvor zu kommen, erscheint daher plausibel. Die Antragsgegnerin hat zudem Beispiele für derartige Nachfragen vorgelegt (vgl. Anlage AG 21 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2018).

Es gilt insoweit nichts anderes als für Modezeitschriften, die aus dem gleichen Grund entsprechende Angaben zu Herstellern und Bezugsquellen enthalten (…).“

Festzuhalten ist damit, dass das LG München die widersprüchliche Instanzrechtsprechung deutscher Gerichte fortsetzt. Ob und ggf. warum bzw. in welchen Fällen Posts von Influencern, die in ihren Posts Produkte vorstellen bzw. erwähnen, Werbung darstellen, wird immer unklarer. Das LG München hat das Wirrwarr um einen Aspekt reicher gemacht, indem es zwar von Werbung ausgeht, allerdings eine Kennzeichnungspflicht verneint, wenn bereits die Aufmachung bzw. der Urheber der Posts der werblichen Charakter verdeutlichen.

Social Media Influencer

Fazit

Es bleibt zu hoffen, dass der BGH in seinem bald zu erwartenden Urteil alle von den Instanzgerichten gewürdigten Aspekte aufgreifen und vollumfänglich für Klarheit sorgen wird.

Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
business

Delegation von Geschäftsleiterpflichten

LEGAL+ NEWS

Ratgeber Compliance: Delegation von Geschäftsleiterpflichten am Beispiel des AG-Vorstands

Der nachfolgende Beitrag soll einen Überblick über die Delegation von Geschäftsleiterpflichten in AG und GmbH geben. Die Ausführungen orientieren sich am AG-Vorstand, sind aber im Wesentlichen auf GmbH-Geschäftsführung übertragbar.

Compliance in the workplace. Folders labeled Compliance, Violations in focus.

Grundsatz: alle Aufgaben des Vorstandes sind delegierbar

Grundsätzlich gilt, dass der Vorstand seine Pflichten als Handlungsorgan der AG unbeschränkt delegieren kann. Es gibt allerdings wichtige Ausnahmen von diesem Grundsatz. Nicht delegierbar sind:

  • Die sog. Gesamtverantwortung der Mitglieder des Vorstands ist „unteilbar, unbeschränkbar und unveräußerlich,
  • Gesetzlich verankerte, persönliche Pflichten, z.B.: Meldepflichten, die Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses, die Erfüllung gewisser steuerlicher Pflichten etc.,
  • Pflichten bei Hauptversammlungsbeschlüssen, zur Berichterstattung an den Aufsichtsrat, zur Einberufung der Gesellschafterversammlung, zur Vorlage zustimmungspflichtiger Geschäfte an den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) sowie bestimmte Pflichten im Zusammenhang mit Jahresabschluss, Lagebericht und Gewinnverwendungsvorschlag,
  • Die Pflichten nach § 91 Abs. 2 AktG, wonach der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen hat, damit Entwicklungen, die den Fortbe­stand der Gesellschaft bedrohen können, möglichst früh erkannt werden (Risikofrüherkennungssystem),
  • Die Pflicht jedes Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG „die Gesellschaft zu leiten“; daraus folgt, dass strategische Grundentscheidungen (Unternehmensplanung) unübertragbar beim Vorstand verbleiben müssen,
  • Die Aufgabe, dem Unternehmen „ein organisatorisches Grundgerüst zu geben, es in funktionsfähige und aufeinander abgestimmte Einheiten zu gliedern und den unternehmensinternen Informationsfluss zu sichern (Unternehmenskoordinierung)“,
  • In nachstehenden Grenzen die Kontrolle der gehörigen Erledigung delegierter Geschäftsführungsaufgaben (Unternehmenskontrolle),
  • Die Entscheidung über die Besetzung der nachgeordneten Führungsstellen im Unternehmen (Führungspostenbesetzung).

In einer Krise der Gesellschaft oder in bestimmten Ausnahmesituationen (etwa bei ei­ner Häufung von Schadenfällen) kann es trotz im Prinzip wirksamer Geschäftsverteilung zu einer Gesamtzuständigkeit aller (auch ansonsten unzuständigen) Vorstandsmitglieder kommen.

Pflicht bei der Delegation

Es versteht sich von selbst, dass die grundsätzlich zulässige Pflichtendelegation nicht automatisch zu einer Enthaftung des Vorstands führt. Vielmehr trifft den Geschäftsleiter nach der Delegation eine umfassende Kontroll- und Überwachungspflicht. Dies betrifft im Einzelnen:

  • Bei allen Formen der Delegation (horizontal, vertikal oder nach außen) ist darauf zu achten, dass Zuständigkeiten klar und eindeutig zugeordnet werden, damit sie zweifelsfrei bei bestimmten Personen lokalisierbar sind.
  • Alle Aufgaben sind möglichst genau zu definieren und überschneidungsfrei zuzuweisen.
  • Die Situation, dass sich „einer auf den anderen verlässt“, ist zu vermeiden, jeder muss seine Pflichten genau kennen.
  • Unklarheiten und Lücken führen dazu, dass die Delegation unwirksam ist und die Pflicht bei der Geschäftsleitung insgesamt verbleibt.
  • Es wird daher empfohlen, alle Delegationen von Organpflichten schriftlich zu fixieren, etwa in Organisationsplänen (Organigramme) und in Stellenbeschreibungen

Auswahl

Folgende Qualifikationsmerkmale sind zu prüfen und sicherzustellen, bevor an eine Person im Unternehmen Aufgaben übertragen werden:

  • Persönliche Eignung (Zuverlässigkeit, Belastbarkeit);
  • Fachliche Befähigung (Ausbildung, Qualifikation, Erfahrung) zur Erfüllung der wahrzunehmenden Aufgabe (je komplexer die Aufgabe ist und je größer der bei Schlechterfüllung drohende Schaden desto strenger der anzulegende Sorgfaltsmaßstab).

Einweisung

Bevor die Person, an die Aufgaben übertragen wurden, ihre Tätigkeit beginnt, ist sicherzustellen:

  • Einweisung in den Aufgabenbereich in der gebotenen Breite und Tiefe,
  • Zurverfügungstellung der zur Bewältigung der Aufgaben nötigen Befugnisse und sachlichen Mittel,
  • Klarstellung der Aufgabe sowie der Berichtslinien,
  • Aufzeigung besonderer Gefahren im Funktionsbereich,
  • Warnung vor typischen Fehlern

Überwachung

Die Pflicht zur Überwachung schließt ein:

Regelmäßige Information

Es bedarf der regelmäßigen Information, um möglichst früh von Tatsachen zu erfahren, die auf mangelnde Pflichterfüllung hindeuten können (Informations- und Kommunikationsaufgabe).

Einrichtung eines Berichtssystems

Es empfiehlt sich die Einrichtung eines Berichtssystems, im Hinblick auf dessen konkrete Ausgestaltung ein breites Ermessen besteht. Es muss aber Gewähr dafür bieten, dass zumindest schwerwiegende Abweichungen, etwa regelmäßig wiederkehrend begangene erhebliche Verfehlungen oder gar Straftaten erkannt werden.

Überwachung der Delegationspersonen

Die  Personen, auf die delegiert wird, sind laufend zu überwachen und zu kontrollieren, um nötigenfalls unmitelbar eingtreifne zu können. Die Überwachung der Personen, auf die der Vorstand delegiert hat, kann ihrerseits – insbesondere an Spezialisten – delegiert werden. Sind diese sorgfältig ausgewählt und eingewiesen, mit den notwendigen personellen und sachlichen Mitteln, Strukturen und Befugnissen ausgestattet, kann sich der Unternehmensleiter „auf die Überwachung der Überwacher“ (Meta-Überwachung) beschränken.

Es gilt der sogenannte Vertrauensgrundsatz: Hat der Unternehmensleiter keinen konkreten Anlass, daran zu zweifeln, dass die von ihm eingesetzten Überwacher ihre Aufgabe korrekt erfüllen, und hat er darüber hinaus dafür Sorge getragen, dass er möglichst zuverlässig und früh von möglichen Missständen in der ansonsten sachgerecht eingerichteten Überwachungsorganisation erfährt, so kann er auf das Funktionieren dieser Organisation vertrauen.

Laufende Kontrolle

Erforderlich ist eine laufende Kontrolle, die sich nicht in sporadischen Maßnahmen erschöpft, sondern sicherstellt, dass Unregelmäßigkeiten auch ohne permanente enge Überwachung nicht vorkommen. Hierzu gehören stichprobenartige Prüfungen, die den Mitarbeitern verdeutlichen, dass Verfehlungen entdeckt und sanktioniert werden können. Der Vorstand muss geeignete und zuverlässige Personen bestellen und diese gelegentlich entweder selbst überprüfen oder durch andere – etwa eine Revisionsabteilung kontrollieren lassen. Dabei sind stichprobenartige, überraschende Prüfungen erforderlich und regelmäßig auch ausreichend, um vorsätzliche Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Vorschriften und Anweisungen der Betriebsleitung zu verhindern. Sie halten den Betriebsangehörigen nämlich vor Augen, dass Verstöße entdeckt und gegebenenfalls geahndet werden können.

Steigerung der Überwachung bei Missständen oder Ausnahmesituationen

Alle Überwachungsmaßnahmen sind bei Defiziten, objektiven Missständen, in Krisen- oder Ausnahmesituationen zu verschärfen.  Ist allerdings abzusehen, dass stichprobenartige Kontrollen nicht ausreichen, um die genannte Wirkung zu erzielen, weil z. B. die Überprüfung von nur einzelnen Vorgängen etwaige Verstöße nicht aufdecken könnte, so ist der Unternehmer zu anderen geeigneten Aufsichtsmaßnahmen verpflichtet. In solchen Fällen kann es geboten sein, überraschend umfassendere Geschäftsprüfungen durchzuführen. Welchen Umfang Prüfungen im konkreten Fall haben müssen, hängt von den gesamten Umständen des Einzelfalles ab. Gesteigerte Aufsichtsmaßnahmen sind jedenfalls dann erforderlich, wenn es im Betrieb bereits zu Unregelmäßigkeiten gekommen oder wenn damit wegen besonderer Umstände zu rechnen ist und ebenso wenn wichtige Vorschriften oder schwierige Rechtsfragen in Rede stehen.

Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
Social Media Influencer Holding Like

Kennzeichnung von Werbung in sozialen Medien

LEGAL+ NEWS

Kennzeichnung von Influencer-Werbung mit Anglizismen in sozialen Medien

Werbung muss als Werbung klar und unmissverständlich erkennbar sein. Selbstverständlich gilt das unvermindert auch für Influencer-Werbung in den sozialen Medien.

Vorstehendes bedeutet weiter, dass ein werblicher Inhalt dann mit einer geeigneten Kennzeichnung zu versehen ist, wenn sich dessen werblicher Charakter nicht bereits aus den äußeren Umständen eindeutig ergibt. So weit, so gut.

Überaus umstritten und Gegenstand zahlreicher jüngerer Gerichtsentscheidungen ist allerdings die Frage, wie eine ggf. erforderliche Kennzeichnung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Dies gilt insbesondere für sog. Influencer-Werbung in sozialen Medien. Hier ist insbesondere umstritten, ob die Kennzeichnung von Werbung mit Anglizismen in sozialen Medien hinreichend geeignet ist, um über werbliche Inhalte aufzuklären.

Social Media Influencer

Anforderungen an Kennzeichnung umstritten

Wie eingangs erwähnt, fordert die Rechtsprechung, dass die Kennzeichnung über den werblichen Charakter klar und unmissverständlich aufklären muss. Nur: Was ist „klar und unmissverständlich“?

Die Rechtsprechung vertritt bis heute mehrheitlich die Auffassung, dass Werbung nur ausreichend deutlich mit den Worten „Werbung“ oder „Anzeige“ als solche erkennbar ist. Oft verwendete Begriffe wie „Sponsored (by)“, „Sponsored Content“ oder „Ad“ lehnt die Rechtsprechung (noch) mehrheitlich als verschleiernd ab.

Maßstab der Beurteilung: Verständnis der primär angesprochenen Verkehrskreise

Jedenfalls im Bereich der neuen bzw. sozialen Medien geht dies nach Auffassung des Autors an der Lebenswirklichkeit vorbei:

Die Rechtsprechung ist sich insoweit noch einig, dass es maßgeblich auf das Verständnis des angesprochenen Publikums ankommt. Geht es also z.B. um die Beurteilung eines Instagram Posts zum Thema Lifestyle, kommt es allein darauf, an wie diejenigen Personen, die üblicherweise solche Inhalte konsumieren, die in Rede stehende Kennzeichnung verstehen.

Legt man diesen im Kern unstrittigen Maßstab an, wird man nicht ernsthaft daran zweifeln dürfen, dass Kennzeichnungen wie „Sponsored (by)“, „Sponsored Content“ oder „Ad“ verstanden werden.

Wirklichkeitsfremde Sicht vieler Gerichte

Die Begründungen der Gerichte, die das bis heute anders sehen wollen, wirken geradezu komisch. Beispielhaft sei ein Urteil des Landgericht Hamburg vom 21.12.2018 (Az. 315 O 257/17) zitiert, das sich mit der Kennzeichnung „Sponsored Content“ beschäftigt hatte:

„Der Begriff bedeutet übersetzt „unterstützter Inhalt“ und macht nicht hinreichend deutlich, dass es sich bei diesem redaktionellen Beitrag um eine kommerzielle Werbeanzeige handelt. Der Begriff des Sponsors wird in der Alltagssprache eher mit einer auch uneigennützigen Unterstützung eines Projekts verbunden. Bekannt ist  der Begriff aus dem Sport; so ist der Trikotsponsor jemand, der ein Sportprojekt oder eine Mannschaft unterstützt und dafür als Gegenwert eine Werbemöglichkeit erhält, beispiels­weise auf dem Trikot einer Mannschaft. Dabei überwiegt in der Regel der unterstützende Anteil; der Sponsor erhofft sich durch seine Zahlung eine Beteiligung am guten Image der unterstützten Mannschaft.“

Die heutige, mit Internet und Influencern aufgewachsene junge Generation (sog.  „always-on-Generation) kennt die Begriffe wie „Sponsored“ aus ihrem (Internet)-Alltag, ganz sicher nicht aus dem Sport und dort im Kontext der Unterstützung eines Projekts.

Ausgehend von dieser allein maßgeblichen Zielgruppe, ist schlicht abwegig, die Kennzeichnung mit „Sponsored (Content)“ oder „Ad“ sei nicht hinreichend verständlich.

Erste obergerichtliche Urteile mit Bezug zur Lebenswirklichkeit

Erfreulich ist daher ein jüngeres Urteil des OLG Celle vom 8. Juni 2017 (Az. 13 U 53/17).  Das OLG Celle hat ausgeführt:

„Der Senat lässt offen, ob die von der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten unter anderem empfohlene Verwendung des Hashtags ,,#ad“· grundsätzlich geeignet ist, einen Beitrag bei lnstagram oder ähnlichen sozialen Medien als Werbung zu kennzeichnen. Das Ergebnis der von dem Verfügungskläger als Anlage BB 1 vorgelegten Meinungsumfrage könnte Zweifel wecken, ob das Hashtag „#ad“ ausreichend bekannt ist, um aus der Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers als eindeutiger Hinweis auf Werbung verstanden zu werden. Der Senat verkennt allerdings nicht, dass aus der Meinungsumfrage nicht erkennbar ist, welcher Teil der Befragten lnstagram oder ähnliche soziale Medien überhaupt nutzt; diejenigen Personen, die nach Behauptung des Verfügungsklägers in erster Linie Zielgruppe der streitgegenständlichen Werbung sind, Kinder und ab 13 Jahren, sind bei der Umfrage nicht berücksichtigt worden.“

 Das OLG Celle hat damit zutreffend herausgearbeitet, dass

  • bei der Beurteilung des Verständnisses allein die betroffene Zielgruppe relevant ist, sowie
  • die Kennzeichnung „Ad“ in Abhängigkeit von der betroffenen Zielgruppe sehr wohl zur Werbekennzeichnung geeignet sein kann.

Irreführung als weitere Voraussetzung eines Wettbewerbsverstoßes

Die  Irreführung  ist  eine  weitere zwingend notwendige  Voraussetzung  für einen Wettbewerbsverstoß wegen Nichtkenntlichmachung von Werbung. Denn das  „Nichtkenntlichmachen“ einer Werbung  muss geeignet sein,  „den  Verbraucher  zu  einer geschäftlichen  Entscheidung  zu  veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte“ (vgl. § 5a Abs. 6 UWG).  Die reine Nichtkenntlichmachung oder vermeintlich ungeeignete Kenntlichmachung reicht also für ein wettbewerbswidriges Handeln nicht aus. Nimmt man diesbezüglich wiederum die überaus aufgeklärte Zielgruppe („always-on“-Generation“) in den Blick, erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt abwegig, dass mit „Sponosred“ oder „Ad“ gekennzeichnete werbliche Inhalte von Influencern in sozialen Netzwerken wettbewerbswidrig sein könnten. Dies dürfte in den meisten Fällen sogar gelten, wenn eine Kennzeichnung ganz unterbleibt, weil die relevante Zielgruppe das Influencer-Geschäft bestens kennt und etwaige Kaufentscheidungen sicherlich nicht davon beeinflusst sind, ob einzelne Beiträge eines Influencers als werblich gekennzeichnet sind oder nicht.

Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
Influencer creating content

LG Karlsruhe hält im Fall Pamela Reif unbezahlte Posts für kennzeichnungspflichtig – Urteil steht in grundlegendem Widerspruch zum Urteil des KG Berlin vom 8.1.2019 (Az. 5 U 83/18)

LEGAL+ NEWS

 Das LG Karlsruhe (Urteil vom 21.3.2019, Az. 13 O 38/18 KfH) hält im Fall Pamela Reif unbezahlte Posts für kennzeichnungspflichtig – Urteil steht in grundlegendem Widerspruch zum Urteil des KG Berlin vom 8.1.2019 (Az. 5 U 83/18)

Das vom Verband sozialer Wettbewerb (VSW) initiierte Chaos rund um die Influencer-Szene geht weiter. Das Landgericht Karslruhe hält im Fall Pamela Reif auch unbezahlte Posts für grundsätzlich kennzeichnungspflichtig. Damit hat sich das LG Karslruhe in einen grundlegenden Widerspruch zum erst im Januar ergangenen Urteil des KG Berlin im Fall Vreni Frost gesetzt, das erfreulicherweise eine differenzierte Auffassung vertritt.

Influencers vlogging from home

Das Urteil des LG Karlsruhe (Az. 13 O 38/18 KfH)

Mit Urteil vom 21.3.2019 hat das LG Karlsruhe (Az. 13 O 38/18 KfH) entschieden (vgl. Pressemitteilung des LG Karlsruhe), dass von Influencern – hier: Pamela Reif – auch unbezahlte Posts dann als Werbung zu kennzeichnen sind, wenn im Ergebnis mit diesen Posts auch die eigene geschäftliche Aktivität als Influencerin gefördert werden soll.

In der Pressemitteilung heißt es:

„Das Gericht sieht in dem Vorgehen der Beklagten einen Wettbewerbsverstoß. Die Posts der Beklagten wecken das Interesse an den getragenen Kleidungsstücken etc. Indem die Nutzer durch nur zwei Klicks auf die Herstellerseite gelangen können, werden Image und Absatz des jeweiligen Herstellers gefördert. Dass die Beklagte durch das Taggen nach eigener Darstellung vorrangig Nachfragen der Follower („Woher hast du dein Kleid?“) vermeiden möchte, steht dem zugleich verfolgten geschäftlichen Zweck nicht entgegen.
(…)
Es ist das Wesen der Influencer-Werbung, dass der Influencer immer zugleich an seinem Image und seiner Authentizität arbeitet, wozu er die passenden Marken und Artikel bewirbt, und den Kreis seiner Follower „pflegt“, die seine Glaubwürdigkeit schätzen und Teil der Community „ihres“ Influencers sein möchten. Insofern fördert die Beklagte durch ihre Posts stets auch ihre eigenen geschäftlichen Aktivitäten. Denn Unternehmen sind für ihre Werbung an möglichst glaubwürdigen Werbeträgern interessiert.

Eine Kennzeichnung als Werbung ist auch nicht entbehrlich. Keinesfalls wissen alle Follower den werblichen Charakter des Auftretens von Influencern einzuschätzen; dies gilt insbesondere für die teils sehr jungen Abonnenten der Beklagten.“

Widerspruch zum Berufungsurteil des KG Berlin („Vreni Frost“, Az. 5 U 83/18)

Das LG Karlsruhe setzt sich damit in klaren Widerspruch zum Urteil des Kammergericht Berlin vom 9.1.2019 (Vreni Frost-Urteil), welches die Dinge zugunsten der Influencer erfreulicherweise wieder ein Stück weit zurechtgerückt hatte:

Das Kammergericht hatte im hier interessierenden Punkt das erstinstanzliche Urteil gegen Vreni Frost aufgehoben und – meiner Meinung nach zutreffend – festgestellt, dass Post, die Kleidungstücke, Schuhe und Accessoires etc. zeigen, nicht generell als Werbung zu kennzeichnen sind. Das KG Berlin hat ausgeführt (Urteil vom 08. Januar 2019, Az. 5 U 83/18; Hervorhebungen durch den Autor):

„Es ist davon auszugehen, dass Internetauftritte wie der von der Antragsgegnerin betriebene Account unter “…” besucht werden, weil die Nutzer sich auch dafür interessieren, welche Kleidung, Schuhe und Accessoires die Bloggerin ausgewählt und miteinander kombiniert hat. Das Interesse der Besucher beschränkt sich nicht darauf, Bilder anzusehen. Naturgemäß geht es zumindest auch darum, Auswahl und Kombinationen nachzumachen oder Anregungen für die eigene Aufmachung zu finden. Die Mitteilung, unter welcher Marke die vorgestellten Produkte angeboten werden und wo sie bezogen werden können, beantwortet dann ein bestehendes Informationsbedürfnis.

Die Erklärung der Antragsgegnerin, sie tagge die abgebildeten Kleidungsstücke, Schuhe und Accessoires, um Anfragen der Besucher ihres Instagram-Auftritts zuvor zu kommen, erscheint daher plausibel. Die Antragsgegnerin hat zudem Beispiele für derartige Nachfragen vorgelegt (vgl. Anlage AG 21 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2018).

Es gilt insoweit nichts anderes als für Modezeitschriften, die aus dem gleichen Grund entsprechende Angaben zu Herstellern und Bezugsquellen enthalten. Die von der Antragsgegnerin im Anlagenkonvolut BK 7 zu ihrem Schriftsatz vom 27. Dezember 2018 veranschaulichen dies deutlich. Dort werden neben abgebildeten Produkten nicht nur der Hersteller der Produkte genannt, sondern auch Internetadressen, über die die Produkte bezogen werden können.“

 Weiter hat das KG Berlin zutreffend festgestellt (Hervorhebungen durch den Autor):

„Das Bestreben eines Influencers, Werbeeinnahmen zu erzielen, rechtfertigt es nicht, ihn zu verpflichten, jede Äußerung mit einem Hinweis zu versehen, mit dem der Verkehr einen nachrangigen oder minderen Wert des Beitrags verbindet. Insoweit kann für einen Influencer nichts anderes gelten, als für andere Medienunternehmen, die sich durchweg zumindest auch über Werbeeinnahmen finanzieren und für Auftraggeber insbesondere dann attraktiv sind, wenn eine Vielzahl von Personen erreichen, ganz gleich, ob man diese nun als Leser, Zuschauer oder Follower bezeichnet.

Eine Differenzierung nach dem Gegenstand der redaktionellen Berichterstattung bzw. der Meinungsäußerung ist mit der Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit nicht vereinbar. Berichte über Modetrends sind nicht weniger schützenswert als Berichte über gesellschafts- und tagespolitische Themen.“

 Bewertung

Während  das KG Berlin erfreulicherweise von gerichtlicher Seite endlich einmal klargestellt hatte, dass Influencerinnen wie Vreni Frost, Pamela Reif u.a.  trotz des anderen Umfelds sachlich betrachtet nichts anderes machen als herkömmliche Modezeitschriften, hat das LG Karlsruhe – wie bereits andere Gerichte zuvor – genau diesen entscheidenden Punkt verkannt. Das LG Karlsruhe spricht Influencerinnen, die über Plattformen wie YouTube oder Instagram über Mode berichten, Rechte ab, die herkömmlichen Verlagen, die in Zeitschriften  inhaltsgleich zu den hier in Rede stehenden Influencerinnen vornehmlich über Mode berichten, seit jeher zugebilligt werden. Die Sicht des LG Karlsruhe  wird umso unverständlicher, wenn man bedenkt, dass es Influencer als Botschafter für Marken seit jeher gegeben hat, und diese von den klassischen Printmedien schon seit langer Zeit eingesetzt werden. Zu denken ist beispielsweise an das Magazin „Barbara“, welches auf der Influencerin Barbara Schöneberger basiert. Frau Schöneberger macht in „Barbara“ letztlich nichts anderes, als Pamela Reif auf Instagram.

Fazit/Ausblick

Es bleibt zu hoffen, dass der BGH in seinem bald zu erwartenden Urteil die Rechtsprechung des KG Berlin höchstrichterlich fortschreibt.

Es macht aus meiner Sicht schier sprachlos, dass eine Vielzahl deutscher Gerichte ganz offensichtlich nicht in der Lage ist, die über das Internet möglich gewordenen Medientypen zutreffend einzuordnen (vgl. dazu den Artikel im „Handelsblatt“ vom 15./16./17.3.2019). Folge dieses Unvermögens ist derzeit eine rechtliche Diskriminierung der sog. Influencer.

 

Social Media Influencer
Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
rolled newspaper lying on white background

Bericht des „Handelsblatt“ vom 15./16./17. März 2019 bekräftigt Fragwürdigkeit des Vorgehens des Verbands sozialer Wettbewerb (VSW) gegen Influencer

LEGAL+ NEWS

Bericht des „Handelsblatt“ vom 15./16./17. März 2019 bekräftigt Fragwürdigkeit des Vorgehens des Verband sozialer Wettbewerb (VSW) gegen Influencer

In meinem Blog-Beitrag Dürfen sog. Abmahnvereine alles? – Zur Schadensersatzpflicht von Abmahnvereinen wie z.B. dem Verband sozialer Wettbewerb (VSW)“  hatte ich aus praktischer Erfahrung bereits darüber berichtet, dass sog. Abmahnvereine bis heute – von Gerichten gedeckt – meist schadlos zu Lasten von Marktteilnehmern agieren.

Social Media Influencer

Mit seinem jüngsten Vorgehen gegen Influencer hat der Verband sozialer Wettbewerb (VSW) viel mediale Aufmerksamkeit erregt und so – ungewollt – endlich auch Bewegung in die Frage gebracht, was Abmahnvereine dürfen und was nicht. Das „Handelsblatt“ hat nun – auch mit meiner Unterstützung –  in seiner jüngsten Wochenendausgabe vom 15./16./17. März 2019 wertvolle Aufklärungsarbeit hinsichtlich des fragwürdigen Agierens des VSW geleistet.

Rechtsfolge des in Rede stehenden Agierens des VSW sowie ggf. natürlich jedes anderen Abmahnvereins kann, wie ich in meinem oben bezeichneten Artikel erläutert habe, u.a. eine Schadensersatzpflicht gegenüber geschädigten Marktteilnehmern sein.

Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
Postman putting letter in mailbox.

Beförderungsbedingungen Brief: Zur Haftung der Post bei Verlust eines Einschreibens

LEGAL+ NEWS

Beförderungsbedingungen Brief: Zur Haftung der Post bei Verlust eines Einschreibens

 

Die Frage der Haftung für Einschreibesendungen der Deutschen Post gewinnt immer mehr an Bedeutung, da in der Lebenswirklichkeit in der Welt von amazonm ebay & Co. Waren zunehmend als z.B. eingeschriebenen Maxibriefsendung verschickt werden. Dann nämlich kommt die Frage praktische Bedeutung, ob und ggf. in welcher Höhe eine Haftung der Post in Betracht kommt. Hiermit befasst sich der nachfolgende Beitrag.

Das Problem

Gewöhnliche Briefsendungen enthalten in aller Regel lediglich Gedankenerklärungen ohne materiellen Wert. Der Haftungsfrage im Verlustfall kommt daher keine praktische Bedeutung zu. Anders ist dies bei Einschreibebriefen, die in der heutigen wirtschaftlichen Realität immer häufiger auch zum Versand von Warensendungen benutzt werden. Bedenkt man, dass für Einschreiben ein zusätzliches Entgelt erhoben wird und Übernahme und Ablieferung – wie bei Paketen auch – in persönlicher Form stattfinden, drängt sich die Frage geradezu auf, ob hier nicht die auch für sonstige Warensendungen (z.B. Pakete) geltenden Haftungsgrundsätze zumindest entsprechend gelten müssen. In 2006 hatten sich in kurzer Abfolge das Amtsgericht Bonn am 29.03.2006 und der BGH am 14.06.2006 mit dieser Fragestellung zu befassen. Von praktischer Relevanz ist insbesondere, ob die Post bei Einschreibebriefen eine sog. Einlassungsobliegenheit trifft; d.h. die Pflicht sich zu den Umständen des Verlustes zu erklären. Der BGH hat im erwähnten Urteil eine „Post-freundliche“ und zugleich zweifelhafte Position eingenommen. Das Amtsgericht Bonn ist – zu Recht, wie der Verfasser im Folgenden erläutern wird – einen anderen Weg gegangen.

Checkig shipping info

Was sagt das Gesetz?

Der Gesetzgeber hat die Post hinsichtlich der Beförderung von „Briefen und briefähnlichen Sendungen“ haftungsrechtlich privilegiert. Zum Ausdruck kommt dies in § 449 HGB und wird in dessen Gesetzesbegründung erläutert: 

449 HGB:

(1) Soweit der Frachtvertrag nicht die Beförderung von Briefen oder briefähnlichen Sendungen zum Gegenstand hat, kann von den Haftungsvorschriften in § 413 Absatz 2, den §§ 414, 418 Absatz 6, § 422 Absatz 3, den §§ 425 bis 438, 445 Absatz 3 und § 446 Absatz 2 nur durch Vereinbarung abgewichen werden, die im Einzelnen ausgehandelt wird, auch wenn sie für eine Mehrzahl von gleichartigen Verträgen zwischen denselben Vertragsparteien getroffen wird. Der Frachtführer kann sich jedoch auf eine Bestimmung im Ladeschein, die von den in Satz 1 genannten Vorschriften zu Lasten des aus dem Ladeschein Berechtigten abweicht, nicht gegenüber einem im Ladeschein benannten Empfänger, an den der Ladeschein begeben wurde, sowie gegenüber einem Dritten, dem der Ladeschein übertragen wurde, berufen.

(2) Abweichend von Absatz 1 kann die vom Frachtführer zu leistende Entschädigung wegen Verlust oder Beschädigung des Gutes auch durch vorformulierte Vertragsbedingungen auf einen anderen als den in § 431 Absatz 1 und 2 vorgesehenen Betrag begrenzt werden, wenn dieser Betrag

1.zwischen 2 und 40 Rechnungseinheiten liegt und der Verwender der vorformulierten Vertragsbedingungen seinen Vertragspartner in geeigneter Weise darauf hinweist, dass diese einen anderen als den gesetzlich vorgesehenen Betrag vorsehen, oder
2.für den Verwender der vorformulierten Vertragsbedingungen ungünstiger ist als der in § 431 Absatz 1 und 2 vorgesehene Betrag.

Ferner kann abweichend von Absatz 1 durch vorformulierte Vertragsbedingungen die vom Absender nach § 414 zu leistende Entschädigung der Höhe nach beschränkt werden.

(3) Ist der Absender ein Verbraucher, so kann in keinem Fall zu seinem Nachteil von den in Absatz 1 Satz 1 genannten Vorschriften abgewichen werden, es sei denn, der Frachtvertrag hat die Beförderung von Briefen oder briefähnlichen Sendungen zum Gegenstand.

(4) Unterliegt der Frachtvertrag ausländischem Recht, so sind die Absätze 1 bis 3 gleichwohl anzuwenden, wenn nach dem Vertrag sowohl der Ort der Übernahme als auch der Ort der Ablieferung des Gutes im Inland liegen.

Auszug aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 13/8445):

„Die in dem vorliegenden Entwurf vorgesehenen Haftungsregeln werden den Besonderheiten des postalischen Massenverkehrs in vielen Fällen nicht gerecht: die Mehrzahl der zu befördernden Briefsendungen und ein Teil der briefähnlichen Sendungen (etwa Päckchen) wird ohne direkten Kundenkontakt über Briefkästen eingeliefert. Der Absender ist oft nicht bekannt. Güterwert und Haftungsrisiko sind bei diesen Produkten kaum abschätzbar. Hier muß es dem Beförderer möglich bleiben, die Haftung – und nicht bloß die Haftungshöhe – durch allgemeine Geschäftsbedingungen zu modifizieren.“

Die Fragestellung

Gilt die Haftungsprivilegierung nach § 449 HGB für „Briefe und briefähnliche Sendungen“ auch für Einschreiben?

„Nein“ muss die Antwort lauten, wenn man die Begründung zum Regierungsentwurf zum TRG (BT-Drucksache 13/8445, s.o.) liest. Denn der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass entscheidendes Abgrenzungskriterium von Briefen und briefähnlichen Sendungen gegenüber sonstigem Transportgut der gänzlich fehlende Kundenkontakt (Anonymität) sein soll. Aus dieser Anonymität folge nämlich, dass für die Post Güterwert und Haftungsrisiko schlicht nicht abschätzbar seien.

Der vorgenannte gesetzgeberische Wille lässt m.E. nur den Schluss zu, dass es sich bei einem Einschreiben nicht um einen Brief oder eine briefähnliche Sendung i.S.d. § 449 HGB handelt (ebenso z.B: Koller, Kommentar zum Transportrecht, 5.A., § 449, Rn. 30; Grimme in Transportrecht 2004, 161).

Bedeutung kommt letzterem weniger deshalb zu, weil die Post anderenfalls über § 449 Abs. 2 HGB die Möglichkeit hätte, für Einschreiben ihr Haftung selbst für die Fälle eines qualifizierten Verschuldens über ihre AGB auszuschließen oder jedenfalls zu begrenzen. Denn die Post  hat – für manch einen sicherlich überraschend – in ihren AGB ausdrücklich die Haftung für qualifiziertes Verschulden übernommen.  So lautet Ziffer 6 Abs. 1 Allgemeinen Geschäftsbedingungen „Brief National“:

„Die Deutsche Post haftet für Schäden, die auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen sind, die sie, einer ihrer Leute oder ein sonstiger Erfüllungsgehilfe (§ 428 HGB) vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewußtsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen hat, ohne Rücksicht auf die nachfolgenden Haftungsbeschränkungen.“

Die vielmehr interessante Frage, die sich auch der BGH und das Amtsgericht Bonn in ihren nachfolgend erläuterten Entscheidungen zu stellen hatten, ist daher, ob die Post im Falle eines Einschreibens eine sog. Einlassungsobliegenheit treffen kann:
Im allgemeinen Frachtrecht ist anerkannt, dass in Fällen, in denen der zu vermutende Bereich des Schadenseintritts dem Einblick des Absenders entzogen ist, den Frachtführer eine prozessuale Aufklärungspflicht trifft; dies vor allem dann, wenn der Schadenshergang völlig im Dunkeln liegt (vgl. Koller, Transportrechtskommentar, 5. Auflage, § 435, Rn. 21).

Wird diese Einlassungsobliegenheit nicht erfüllt, wird zu Lasten des Frachtführers vermutet, dass ihn ein qualifiziertes Verschulden mit der Folge einer unbegrenzten Haftung trifft.

BGH-Urteil vom 14.06.2006 (Az. I ZR 136/03), NJW-RR 2007, 96-98

Der BGH hat eine solche Einlassungsobliegenheit, die unstreitig für gewöhnliche Briefsendungen nicht gelten kann, nunmehr ganz ausdrücklich auch für Einschreibebriefe verneint. Aufgegriffen hat er zur Begründung die gesetzgeberisch gewollte Privilegierung für die Beförderung von Briefen. Der BGH hat ausgeführt:

„Bei der Briefbeförderung steht die Übermittlung der in dem Brief enthaltenen individuellen Gedankenerklärung im Vordergrund. Beim Versand von Paketen geht es um die Beförderung der verpackten werthaltigen Gegenstände. Dem Versender eines Briefes erwächst aus dessen Verlust im Allgemeinen kein materieller Schaden (vgl. BGHZ 149, 337, 349). Dementsprechend besteht bei Briefsendungen für Dritte im Allgemeinen auch kein Anreiz, sich den Inhalt der Sendungen anzueignen, um sich zu bereichern.

Dass die Sorgfalts- und Organisationsanforderungen im Bereich der Versendung von Briefen und briefähnlichen Sendungen geringer sind als bei der Paketbeförderung, steht im Einklang mit der Systematik des Gesetzes, das in § 449 Abs. 2 Satz 1 HGB für Briefe und briefähnliche Sendungen weitergehende Haftungsbeschränkungen als bei anderen Sendungen ermöglicht.“

Vorstehende Feststellung, die für gewöhnliche Briefe ohnehin als unstreitig bezeichnet werden kann, hat der BGH nun auf Einschreiben übertragen. Zur Begründung hat er ausgeführt:

„Der Einschreibebrief unterscheidet sich nur insoweit von einer gewöhnlichen Sendung, als die Einlieferung und der Zugang der Sendung dokumentiert werden. Auch er unterliegt den am wirtschaftlich Vertretbaren orientierten Regeln des massenhaften Brieftransports zu günstigen Preisen. Der Einschreibebrief ist nicht zum Versand von wertvollen Waren bestimmt. Auf einen Einschreibebrief treffen die Besonderheiten des postalischen Massenverkehrs – schnelle und kostengünstige Übermittlung zu jedem Haushalt in Deutschland – ebenso zu wie auf gewöhnliche Briefe und briefähnliche Sendungen.“

Die Schwachstellen des BGH-Urteils

Die Argumentation des BGH überzeugt nicht.

Im Einklang mit dem gesetzgeberischen Willen steht zunächst die zutreffende Feststellung des BGH, dass Einschreiben begrifflich nicht „Briefe oder briefähnliche Sendungen“ darstellen. Seine Begründung, warum sie solchen gleichzustellen seien, verfängt jedoch nicht.

Der BGH ignoriert, dass der Gesetzgeber die Haftungs-Privilegierung von Briefen ganz entscheidend auch auf die Anonymität des Briefversands (vgl. oben die Gesetzesbegründung, II. 2.) gestützt hat. Diese Anonymität fehlt bei Einschreiben jedoch.

Ferner überzeugt auch sein Argument nicht, dass „die Besonderheiten des postalischen Massenverkehrs – schnelle und kostengünstige Übermittlung zu jedem Haushalt in Deutschland-“ bei Einschreiben genauso zuträfen wie bei gewöhnlichen Briefen.

Zunächst gilt, dass Einschreiben nur einen Bruchteil des Briefpostvolumens der Post ausmachen. Das Entgelt, das die Post für Einschreiben einfordert, macht zudem oft ein Vielfaches des Portos eines Normalbriefes aus. Vor diesem Hintergrund können Einschreiben nicht als Teil des „Massengeschäftes“ angesehen werden, dessen Bewältigung – angeblich – nur unter gänzlichem Verzicht von Schnittstellenkontrollen möglich sei.

Im Übrigen sieht die wirtschaftliche Realität so aus, dass „die Besonderheiten des postalischen Massenverkehrs“ bei Massenpaketdiensten (DHL, UPS etc.) heute ebenso zutreffen. Nicht selten liegen die Pakettarife der Massenpaketdienstleister kaum über den Tarifen der Post für eingeschriebene Großbriefe. Trotzdem müssen auch die Massenpaketdienstleister mit ihrer Haftung leben; insbesondere bei Verlusten in der Lage sein, sich zu den Verlustumständen einzulassen, wenn sie einer Haftung entgehen wollen.

Schließlich verschließt der BGH die Augen vor der wirtschaftlichen Realität, wenn er ausführt: „Der Einschreibebrief ist nicht zum Versand von wertvollen Waren bestimmt.“

Es ist bereits bei normaler Briefpost äußerst fraglich, ob davon ausgegangen werden kann, dass der Absender in aller Regel kein Wertinteresse hat mit der Folge, dass er im Verlustfalle auch kein Interesse an der Wiedererlangung seiner Sendung haben wird. Vor allem bei „Maxibriefen“ wird eher das Gegenteil die Regel sein. Kaum ein Maxibrief wird nämlich lediglich „Gedankenerklärungen“ enthalten. Außerdem ist auch zu bedenken, dass heutzutage reine Gedankenerklärungen zunehmend auf elektronischem Wege (vor allem per Email) ihre Empfänger erreichen, so dass auch bei normalen Briefen (bis 20 g) fraglich sein dürfte, ob sie immer lediglich Gedankenerklärungen enthalten.

Jedenfalls aber im Falle eines Einschreibens kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Empfänger kein Wertinteresse an der per Einschreiben übergebenen Sendung hat. Der Fall, dass es dem Absender bei einem Einschreiben lediglich auf eine Empfangsbestätigung ankommt, dürfte nämlich allenfalls einen Bruchteil aller Einschreiben ausmachen. Viel häufiger hingegen dürfte der Fall sein, dass ein Einschreiben als „kleines Paket“, also zum Versand kleiner Warensendungen genutzt wird.

Contra BGH:      Urteil des Amtsgericht Bonn vom 29.03.2006 (Az. 9 C 549/05), n.v.)

Das Amtsgericht Bonn hat – mit Blick auf Vorstehendes ganz zu Recht – für ein in Verlust geratenes Einschreiben – genauer: dessen Inhalt – eine Einlassungsobliegenheit angenommen. Da sich die Post nicht zu entlasten vermochte, haftete sie unbeschränkt. Die Post hat bedauerlicherweise zu verhindert gewusst, dass das Amtsgericht sein Urteil mit Entscheidungsgründen versieht, indem sie den in Streit stehenden Anspruch noch rechtzeitig anerkannt hatte. Dies ist für den Verfasser, der an dem Verfahren auf Seiten des Anspruchstellers beteiligt war, jedoch kein Hindernis, die zutreffenden Beweggründe des Amtsgericht im Folgenden darzustellen:

Der Sachverhalt der Entscheidung stellt sich in Kürze wie folgt dar:

Der Post wurde ein Autoschlüssel mittels Einschreiben zur Beförderung übergeben, das beim Empfänger jedoch nie ankam. Eine Schadensanzeige führte dazu, dass die Post den leeren, aufgerissenen Umschlag des Einschreibens an den Absender zurückgab, im übrigen aber jede Haftung über EUR 20,– hinaus mit der Begründung ablehnte, eine höhere Haftung sei gemäß ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften des Handelsgesetzbuch stünden, nicht vorgesehen.

Die Post hat sich im Prozess nicht dazu eingelassen bzw. nicht dazu einlassen können, wie es dazu kommen konnte, dass der Inhalt der Sendung verloren ging. Infolgedessen hat das Amtsgericht entscheiden müssen, ob es die streitgegenständliche Sendung dem Haftungsprivileg des § 449 HGB unterwirft oder nicht.

Im Einklang mit der vom BGH vertretenen Auffassung war das Hauptargument der Post gegen eine Einlassungspflicht wie folgt:
Bei der Briefbeförderung handele es sich um ein Massengeschäft, dessen gesetzliche Anforderungen nach der Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV), insbesondere an die Beförderungsdauer, die Post gar nicht erfüllen könne, wenn sie verpflichtet wäre, Schnittstellenkontrollen durchzuführen. Wenn nun aber die Post nicht gehalten sei, Schnittstellenkontrollen durchzuführen, könne von ihr zwangsläufig auch nicht abverlangt werden, im Verlustfalle die Umstände des Verlustes darzulegen.

Das Amtsgericht Bonn hat sich erfreulicherweise gegen die mächtige postfreundliche Rechtsprechung des BGH, der sich den erläuterten Argumenten (vgl. oben V.) zugunsten der Post verschlossen hat, gestemmt, und im oben beschriebenen Fall von der Post verlangt, die Umstände des Verlustes darzulegen:
Der Umschlag des Einschreiben war in einem Umschlagzentrum in aufgerissener Form aufgefunden worden. Das Amtsgericht hat nun zu Recht gefordert, dass sich die Post dazu erklären muss und hat der Post damit die beschriebene Einlassungsobliegenheit aufgebürdet. Die Post kam dem nicht nach. Die Konsequenz erahnend, hat die Post daraufhin den Anspruch anerkannt.

Fazit

Der Post steht es frei, in ihren Beförderungsbedingungen für Einschreiben ausdrücklich einen Beförderungsausschluss für Warensendungen zu vereinbaren. Solange die Post dies aber nicht getan hat, überzeugt die Argumentation des BGH mit Blick auf die wirtschaftliche Realität nicht. Die BGH-Rechtsprechung kann sich dem Eindruck nicht entziehen, hier den Belangen der Post als ehemaliges Staatsunternehmen allzu zugeneigt gewesen zu sein. Die erstinstanzlichen Gerichte (wie das Amtsgericht Bonn) scheinen demgegenüber ungefangener zu agieren.

Festzuhalten bleibt, dass es heutzutage kaum noch zu rechtfertigen ist, Einschreiben und gewöhnliche Briefsendungen haftungsrechtlich gleich zu behandeln. Insbesondere verfängt es nicht, auf die Besonderheiten des postalischen Massenverkehrs abzustellen. Letztere gelten heute längst auch bei Massenpakettransporten, die zu großbriefähnlichen Konditionen in Tagesfrist abgewickelt werden und dennoch keiner Haftungsprivilegierung unterliegen.

Man delivering the letter
Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.
Pig Bank And Money.

Jedes Kredit beanspruchende Unternehmen sollte Rückforderungsansprüche prüfen! – Zur Unzulässigkeit sog. Bearbeitungsgebühren in Kreditverträgen mit Unternehmen.

LEGAL+ NEWS

Jedes Kredit beanspruchende Unternehmen sollte wegen drohender Verjährung rechtzeitig vor Jahresende Rückforderungsansprüche prüfen! – Zur Unzulässigkeit sog. Bearbeitungsgebühren in Kreditverträgen mit Unternehmen.

 

Nach mittlerweile nicht mehr ganz junger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteile vom 04.07.2017, Az. XI ZR 562/15 und Az. XI ZR 233/16) sind über lange Zeit übliche Bearbeitungsgebühren auch bei Darlehen an Unternehmen unzulässig und damit entsprechende Vereinbarungen in Kreditverträgen – auch im Falle von Überziehungskrediten – unwirksam. Folge:

Die betroffenen Unternehmen können daher unter Umständen die gezahlten Gebühren im Rahmen der geltenden Verjährungsfristen von ihren Banken zurückfordern. Anlässlich des nahenden Jahresendes und der damit drohenden Verjährung für aus dem Jahr 2015 herrührender  Ansprüche seien die wesentlichen Feststellungen des BGH wie folgt in Erinnerung gerufen:

Bank sign on marble background. 3d illustration

 

Die Leitsätze

Die Leitzsätze des BGH lauten:

1.Die in Darlehensurkunden eines Kreditinstituts für den Abschluss von Kreditverträgen mit Unternehmern enthaltene formularmäßige Klausel

„Bearbeitungsentgelt für Vertragsschluss 10 000 €“

 unterliegt nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der richterlichen Inhaltskontrolle und ist gem. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

2.Die kenntnisabhängige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB für Rückforderungsansprüche wegen unwirksam formularmäßig vereinbarter Bearbeitungsentgelte begann auch bei Darlehensverträgen mit Unternehmern nach § 488 BGB mit dem Schluss des Jahres 2011 zu laufen (Fortführung von Sen.Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 RdNr. 44 ff.).

Bearbeitungsgebühr = Preisnebenabrede

In den vom BGH entschiedenen Verfahren waren  die Kreditnehmer jeweils Unternehmer im Sinne des § 14 BGB. Die mit den jeweiligen Banken geschlossenen Darlehensverträge enthielten formularmäßige Klauseln, wonach der Darlehensnehmer ein laufzeitunabhängiges „Bearbeitungsentgelt“ beziehungsweise eine „Bearbeitungsgebühr“ zu entrichten hatte. Gegenstand der Klagen ist die Rückzahlung dieses Entgelts, weil die angegriffenen Klauseln nach Ansicht der Kläger unwirksam sind.

Der BGH hat in seiner Begründung klargestellt, dass es sich bei den angegriffenen Klauseln um sogenannte Preisnebenabreden handele, die der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegen.

Unangemessene Benachteiligung

In diesen Nebenabreden hat der BGH eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners gesehen.

Solche laufzeitunabhängigen Bearbeitungsentgelte seien mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren, weshalb gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners anzunehmen sei.

Steuerliche Vorteile keine Rechtfertigung

In den zu entscheidenden Fällen konnte der BGH keine Gründe für eine Abweichung von dieser gesetzlichen Vermutung erkennen. Insbesondere könne die Angemessenheit nicht mit etwaig hieraus resultierenden steuerlichen Vorteilen des betroffenen Unternehmens begründet werden. Es seien – wie in den entschiedenen Fällen nicht – allein solche Vorteile berücksichtigungsfähig, die originär vom Klauselverwender (= hier der Bank) gewährt werden. Der BGH hat hierzu – von mir komprimiert wiedergegeben – ausgeführt:

„(…)Zwar ist anerkannt, dass eine den Vertragspartner benachteiligende Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht durch Gewährung anderer rechtlicher Vorteile kompensiert werden kann (Sen.Urt. v. 23.4.1991 – XI ZR 128/90, BGHZ 114, 238, 242 f. und 246). Die inhaltliche Unausgewogenheit einer Klausel, die den Verwender einseitig begünstigt, kann aber nur durch Vorteile für dessen Vertragspartner kompensiert werden, die ihm vom Klauselverwender gewährt werden (vgl. auch Sen.Urt. v. 21.4.2015 – XI ZR 200/14, WM 2015, 1232 RdNr. 18). Deswegen ist es unerheblich, ob es einzelnen Unternehmern durch überobligationsmäßige Anstrengungen gelingen kann, die finanziellen Nachteile, die ihnen durch die angegriffene Klausel entstehen, auf ihre Kunden abzuwälzen. (…)

Aus demselben Grund kann die Angemessenheit eines laufzeitunabhängigen Bearbeitungsentgelts nicht mit eventuell hieraus resultierenden steuerlichen Vorteilen auf der Seite des unternehmerischen Kreditnehmers – verbunden mit einem niedrigeren Vertragszins – begründet werden.(…)

(2) Unabhängig davon wird eine an sich unangemessene Benachteiligung der Kunden durch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Entgelte im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht schon deswegen durch einen niedrigeren Zinssatz ausgeglichen, weil es einzelnen Kunden gelingt, einen größeren Teil der anfallenden Bearbeitungsgebühr sofort steuerlich zum Abzug zu bringen (…).

Kein rechtfertigender Handelsbrauch

Weiter sei auch nicht zu ersehen, dass solche Gebühren bei angemessener Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche (§ 310 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB) gerechtfertigt erscheinen. Jedenfalls in den zu entscheidenden fällen konnten die Banken einen entsprechenden Handelsbrauch nicht nachweisen.

Schließlich: Auch Unternehmer sind schutzwürdig

Der Schutzzweck des § 307 BGB, die Inanspruchnahme einseitiger Gestaltungsmacht zu begrenzen, gilt gemäß BGH auch zugunsten eines informierten und erfahrenen  Unternehmers. Dass ein Unternehmer eine sich aus verschiedenen Entgeltkomponenten ergebende Gesamtbelastung besser abschätzen könne, sei nicht geeignet, die Angemessenheit solcher Klauseln bei Verwendung gegenüber Unternehmern zu belegen. Die AGB-rechtliche  Inhaltskontrolle solle allgemein vor Klauseln schützen, bei denen das auf einen gegenseitigen Interessenausgleich gerichtete dispositive Gesetzesrecht durch einseitige Gestaltungsmacht des Klauselverwenders außer Kraft gesetzt werde. Der BGH vermochte – meines Erachtens zurecht – keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass Kreditinstitute gegenüber Unternehmern keine solche einseitige Gestaltungsmacht in Anspruch nehmen könnten. Der BGH hat wie ich finde zutreffend ausgeführt:

„(…) Es gibt auch keinen Anhalt dafür, dass Kreditinstitute gegenüber Unternehmern – anders als gegenüber Verbrauchern – keine solche einseitige Gestaltungsmacht in Anspruch nehmen könnten, da eine situative Unterlegenheit von Unternehmern allgemein geringer sei als von Verbrauchern. Vielmehr kann die wirtschaftliche Situation von Unternehmern, deren Geschäftserfolg von der Darlehensgewährung abhängt, durchaus ein höheres Maß von Abhängigkeit von dem Kreditinstitut aufweisen, als das bei Verbrauchern der Fall ist, die um einen Immobiliarkredit zum Zwecke der Errichtung eines Eigenheims oder gar nur um einen Konsumentenkredit nachsuchen (…).“

 

Fazit:

Jeder Unternehmer, der Kredite beansprucht, sollte seine Kreditverträge anhand obiger Rechtsprechung prüfen und ggf. Rückforderungsansprüche geltend machen. Dabei ist mit Blick auf die für Ansprüche des Jahres 2015 drohende Verjährung Eile geboten.

Checking on their investments
Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Plenty of space on this one. An african-american woman showing you a USB stick.
Prozessführung

Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

Weiter lesen »
Gavel, scales of justice and law books
Prozessführung

Klageabweisung als „derzeit unbegründet“

Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.

Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Internationales Prozessrecht

Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany

Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.

If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.

The following article deals with the content of these proceedings.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.