LEGAL+

LEGAL+ NEWS

Ratgeber Compliance: Delegation von Geschäftsleiterpflichten am Beispiel des AG-Vorstands

Der nachfolgende Beitrag soll einen Überblick über die Delegation von Geschäftsleiterpflichten in AG und GmbH geben. Die Ausführungen orientieren sich am AG-Vorstand, sind aber im Wesentlichen auf GmbH-Geschäftsführung übertragbar.

Compliance in the workplace. Folders labeled Compliance, Violations in focus.

Grundsatz: alle Aufgaben des Vorstandes sind delegierbar

Grundsätzlich gilt, dass der Vorstand seine Pflichten als Handlungsorgan der AG unbeschränkt delegieren kann. Es gibt allerdings wichtige Ausnahmen von diesem Grundsatz. Nicht delegierbar sind:

  • Die sog. Gesamtverantwortung der Mitglieder des Vorstands ist „unteilbar, unbeschränkbar und unveräußerlich,
  • Gesetzlich verankerte, persönliche Pflichten, z.B.: Meldepflichten, die Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses, die Erfüllung gewisser steuerlicher Pflichten etc.,
  • Pflichten bei Hauptversammlungsbeschlüssen, zur Berichterstattung an den Aufsichtsrat, zur Einberufung der Gesellschafterversammlung, zur Vorlage zustimmungspflichtiger Geschäfte an den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) sowie bestimmte Pflichten im Zusammenhang mit Jahresabschluss, Lagebericht und Gewinnverwendungsvorschlag,
  • Die Pflichten nach § 91 Abs. 2 AktG, wonach der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen hat, damit Entwicklungen, die den Fortbe­stand der Gesellschaft bedrohen können, möglichst früh erkannt werden (Risikofrüherkennungssystem),
  • Die Pflicht jedes Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG „die Gesellschaft zu leiten“; daraus folgt, dass strategische Grundentscheidungen (Unternehmensplanung) unübertragbar beim Vorstand verbleiben müssen,
  • Die Aufgabe, dem Unternehmen „ein organisatorisches Grundgerüst zu geben, es in funktionsfähige und aufeinander abgestimmte Einheiten zu gliedern und den unternehmensinternen Informationsfluss zu sichern (Unternehmenskoordinierung)“,
  • In nachstehenden Grenzen die Kontrolle der gehörigen Erledigung delegierter Geschäftsführungsaufgaben (Unternehmenskontrolle),
  • Die Entscheidung über die Besetzung der nachgeordneten Führungsstellen im Unternehmen (Führungspostenbesetzung).

In einer Krise der Gesellschaft oder in bestimmten Ausnahmesituationen (etwa bei ei­ner Häufung von Schadenfällen) kann es trotz im Prinzip wirksamer Geschäftsverteilung zu einer Gesamtzuständigkeit aller (auch ansonsten unzuständigen) Vorstandsmitglieder kommen.

Pflicht bei der Delegation

Es versteht sich von selbst, dass die grundsätzlich zulässige Pflichtendelegation nicht automatisch zu einer Enthaftung des Vorstands führt. Vielmehr trifft den Geschäftsleiter nach der Delegation eine umfassende Kontroll- und Überwachungspflicht. Dies betrifft im Einzelnen:

  • Bei allen Formen der Delegation (horizontal, vertikal oder nach außen) ist darauf zu achten, dass Zuständigkeiten klar und eindeutig zugeordnet werden, damit sie zweifelsfrei bei bestimmten Personen lokalisierbar sind.
  • Alle Aufgaben sind möglichst genau zu definieren und überschneidungsfrei zuzuweisen.
  • Die Situation, dass sich „einer auf den anderen verlässt“, ist zu vermeiden, jeder muss seine Pflichten genau kennen.
  • Unklarheiten und Lücken führen dazu, dass die Delegation unwirksam ist und die Pflicht bei der Geschäftsleitung insgesamt verbleibt.
  • Es wird daher empfohlen, alle Delegationen von Organpflichten schriftlich zu fixieren, etwa in Organisationsplänen (Organigramme) und in Stellenbeschreibungen

Auswahl

Folgende Qualifikationsmerkmale sind zu prüfen und sicherzustellen, bevor an eine Person im Unternehmen Aufgaben übertragen werden:

  • Persönliche Eignung (Zuverlässigkeit, Belastbarkeit);
  • Fachliche Befähigung (Ausbildung, Qualifikation, Erfahrung) zur Erfüllung der wahrzunehmenden Aufgabe (je komplexer die Aufgabe ist und je größer der bei Schlechterfüllung drohende Schaden desto strenger der anzulegende Sorgfaltsmaßstab).

Einweisung

Bevor die Person, an die Aufgaben übertragen wurden, ihre Tätigkeit beginnt, ist sicherzustellen:

  • Einweisung in den Aufgabenbereich in der gebotenen Breite und Tiefe,
  • Zurverfügungstellung der zur Bewältigung der Aufgaben nötigen Befugnisse und sachlichen Mittel,
  • Klarstellung der Aufgabe sowie der Berichtslinien,
  • Aufzeigung besonderer Gefahren im Funktionsbereich,
  • Warnung vor typischen Fehlern

Überwachung

Die Pflicht zur Überwachung schließt ein:

Regelmäßige Information

Es bedarf der regelmäßigen Information, um möglichst früh von Tatsachen zu erfahren, die auf mangelnde Pflichterfüllung hindeuten können (Informations- und Kommunikationsaufgabe).

Einrichtung eines Berichtssystems

Es empfiehlt sich die Einrichtung eines Berichtssystems, im Hinblick auf dessen konkrete Ausgestaltung ein breites Ermessen besteht. Es muss aber Gewähr dafür bieten, dass zumindest schwerwiegende Abweichungen, etwa regelmäßig wiederkehrend begangene erhebliche Verfehlungen oder gar Straftaten erkannt werden.

Überwachung der Delegationspersonen

Die  Personen, auf die delegiert wird, sind laufend zu überwachen und zu kontrollieren, um nötigenfalls unmitelbar eingtreifne zu können. Die Überwachung der Personen, auf die der Vorstand delegiert hat, kann ihrerseits – insbesondere an Spezialisten – delegiert werden. Sind diese sorgfältig ausgewählt und eingewiesen, mit den notwendigen personellen und sachlichen Mitteln, Strukturen und Befugnissen ausgestattet, kann sich der Unternehmensleiter „auf die Überwachung der Überwacher“ (Meta-Überwachung) beschränken.

Es gilt der sogenannte Vertrauensgrundsatz: Hat der Unternehmensleiter keinen konkreten Anlass, daran zu zweifeln, dass die von ihm eingesetzten Überwacher ihre Aufgabe korrekt erfüllen, und hat er darüber hinaus dafür Sorge getragen, dass er möglichst zuverlässig und früh von möglichen Missständen in der ansonsten sachgerecht eingerichteten Überwachungsorganisation erfährt, so kann er auf das Funktionieren dieser Organisation vertrauen.

Laufende Kontrolle

Erforderlich ist eine laufende Kontrolle, die sich nicht in sporadischen Maßnahmen erschöpft, sondern sicherstellt, dass Unregelmäßigkeiten auch ohne permanente enge Überwachung nicht vorkommen. Hierzu gehören stichprobenartige Prüfungen, die den Mitarbeitern verdeutlichen, dass Verfehlungen entdeckt und sanktioniert werden können. Der Vorstand muss geeignete und zuverlässige Personen bestellen und diese gelegentlich entweder selbst überprüfen oder durch andere – etwa eine Revisionsabteilung kontrollieren lassen. Dabei sind stichprobenartige, überraschende Prüfungen erforderlich und regelmäßig auch ausreichend, um vorsätzliche Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Vorschriften und Anweisungen der Betriebsleitung zu verhindern. Sie halten den Betriebsangehörigen nämlich vor Augen, dass Verstöße entdeckt und gegebenenfalls geahndet werden können.

Steigerung der Überwachung bei Missständen oder Ausnahmesituationen

Alle Überwachungsmaßnahmen sind bei Defiziten, objektiven Missständen, in Krisen- oder Ausnahmesituationen zu verschärfen.  Ist allerdings abzusehen, dass stichprobenartige Kontrollen nicht ausreichen, um die genannte Wirkung zu erzielen, weil z. B. die Überprüfung von nur einzelnen Vorgängen etwaige Verstöße nicht aufdecken könnte, so ist der Unternehmer zu anderen geeigneten Aufsichtsmaßnahmen verpflichtet. In solchen Fällen kann es geboten sein, überraschend umfassendere Geschäftsprüfungen durchzuführen. Welchen Umfang Prüfungen im konkreten Fall haben müssen, hängt von den gesamten Umständen des Einzelfalles ab. Gesteigerte Aufsichtsmaßnahmen sind jedenfalls dann erforderlich, wenn es im Betrieb bereits zu Unregelmäßigkeiten gekommen oder wenn damit wegen besonderer Umstände zu rechnen ist und ebenso wenn wichtige Vorschriften oder schwierige Rechtsfragen in Rede stehen.

Sie haben Fragen dazu?

AKTUELLE BEITRÄGE

Businessmen Deal Handshake Agreement Concept
Handelsrecht

Corona als Störung der Geschäftsgrundlage?

Unzählige Vertragsverhältnisse konnten seit Beginn der Corona-Krise nicht planmäßig durchgeführt werden. Schuld waren meist die staatlichen Corona-Maßnahmen, für die naturgemäß keine der Vertragsparteien eine Verantwortung trifft. Dies hat die spannende Frage aufgeworfen, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen die vertragliche Hauptleistung – z.B. die Überlassung der Räumlichkeiten in mietrechtlichen Konstellationen – trotz der Corona-Maßnahmen nach wie vor erbracht werden konnte, allerdings die Nutzung der Räume für den Mieter infolge der Corona-Maßnahme ganz oder teilsweise nicht möglich war.

Weiter lesen »
collection of various flags of different countries standing tall together in a row on a stand
Prozessführung

Klage aus dem Ausland – Zustellung wirksam?

Verklagt zu werden, ist immer unerfreulich. Hat man es allerdings mit einer Klage aus dem Ausland zu tun, ist das Ärgernis aus diversen Gründen erheblich größer, nur beispielhaft sei auf die oft erheblichen Kosten hingewiesen. Die erste Frage, die Sie aufwerfen sollten, wenn Sie in Ihrem Briefkasten eine Klage aus dem Ausland vorfinden, lautet: Ist Zustellung der Klage überhaupt wirksam? Oftmals ist dies nämlich nicht der Fall, was Ihnen diverse Vorteile bringt (z.B. Zeitgewinn, Möglichkeit eigener prozessualer Schritte etc.).

Weiter lesen »
Businessman sleeping at office
Handelsrecht

Prozessrecht: Der untätige Sachverständige

Der untätige Sachverständige bedeutet für Betroffene ein großes Dilemma. Der Gesetzgeber hat dies durchaus erkannt und hat mit einer Reform des Sachverständigenrechts mit Wirkung seit 15.10.2016 durchaus relevante Verschärfungen im Zivilprozessrecht verankert.

Weiter lesen »

KONTAKT

LEGAL+

+49 (40) 57199 74 80

+49 (170) 1203 74 0

Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg

kontakt@legal-plus.eu

Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!

Ich freue mich auf unsere Vernetzung.

Copyright 2024 © All rights Reserved.